Das Beil von Wandsbek
Postamt seit dem Jahre 33 hatte es die Wandsbeker Chaussee überbrüllt: gefährlich leben.
Stine Teetjen saß zwischen den Schranktüren auf der herausgezogenen rechten Grundschublade. Sie stützte die Ellbogen auf beide Knie, hielt sich mit beiden Händen die Ohren zu, blickte auf die weißgescheuerten Dielen und sann. Irgend was hatte die Frau Timme in ihr hinterlassen, sie wußte nicht was. In unseres Vaters Haus waren viele Wohnungen, sicher auch eine für Leute,die unschuldiges Blut vergossen hatten, aber auch schuldlos. Und wenn nicht ganz schuldlos, so doch halbwegs. Und wenn jemand diesen Teil Schuld auf sich genommen hatte und den Strick ergriffen und zu dem Nußbaum gegangen war, mit dem ausgestreckten Ast über der Bank; wenn einer oder eine diesen Teil Schuld auf sich genommen und gesühnt, dann würde Jesus fünf gerade sein lassen und Albert und Stine wieder zusammentun in einem bescheidenen Kämmerchen seines Palastes, wenn’s sein mußte unter der Treppe, denn daß der Albert bereuen würde und sich die Brust mit den Fäusten pauken und ihr schleunigst nachkommen, das ganze Gesicht voll Tränen, das stand mal fest. Er war ja bloß das große Schiff gewesen, das zum Stapellauf fertig auf den Helligen lag, auf einer gut geseiften, feingeschmierten Gleitbahn; und sie hatte gewissermaßen den Strick durchschnitten, der es hielt. Was ein Strick angerichtet hatte, konnte ein anderer wieder gutmachen. Binden und lösen, sagte der Evangelist. Hatte sie erst die Liste hier abgeschrieben und den Brief an die Else, so mußte sie auch für Albert ein paar Zeilen hinterlassen, ein Grüßchen, zu kommen und im himmlischen Jerusalem mit ihr zu erwachen und ihr ein Grab zu besorgen, daß die Leute sie nicht fanden und mit ihrem Leibe Unfug trieben, wenn sie sich selber nicht mehr wehren konnte. Solch ein Overall war ein tadelloser Anzug, wenn eins im Sommer nicht viel Zeug auf dem Leibe vertrug. Die Wohnung hier zeigte jetzt alle ihre Vorteile, sie blieb kühl und erträglich bis weit in den August, und die Dusche in der Toilette tat Wunder. Aber nun war’s aus mit der Kühle, das ganze Haus schwitzte, und bei Tom Barfey oben war’s sicher nicht zum Aushalten. Nun, nachts wehte vielleicht auch da oben ein kühlendes Lüftchen.
Bei dem Durchsuchen all der Schubladen, die Stine für gewöhnlich nichts angingen, fanden sich kuriose Dinge – altes Kramzeug, Niederschlag der vergangenen Lebensjahre. Aus ihrer Dienstbotenzeit kleine Schriften, sogenannte Traktätchen, die entweder ihren Glauben stärken oder ihre israelitische Dienstherrschaft zu dem sanften Heiland, dem Prediger vom See Genezareth, führen sollten. Nun, damit war es nichts gewesen, und auch für sie, Stine, war das Leben in anderen, deftigeren Greifbarkeiten verlaufen.Da standen Lieder aus dem Herrnhutischen Gesangbuch, über die man sich nur amüsieren konnte. Gleich bei den Traktätchen lag ein Bündel Banknoten – schöne, buntgedruckte Zettel, die auch einmal ernst gemeint waren, nur schade, daß sie jetzt nichts mehr galten und bloß Mark hießen, statt Reichsmark. Groß von Format und schön gemacht, mit Junkern und Hüten und Schnörkeln, 10 000 , 20 000 , 50 000 Mark stand darauf zu lesen – Inflation! Sie erinnerte sich sehr wohl, daß es dann weitergegangen in die Hunderttausende, die Millionen und Milliarden, wenn man einen Laib Brot haben wollte. Aber von denen war nichts aufgehoben worden, der hamburgische Senat hatte ja viel früher eigenes, gesundes Geld herausgegeben als das Reich, wahrscheinlich waren von Vater Teetjen die Milliarden in solide Pfennige umgetauscht worden. Ja, davon hätte der Albert nehmen und der Räuberbande in ihrer Panzerschenke die Rechnung begleichen, den Mund stopfen sollen! Nun, das war verpaßt, das Vermögen hier konnte man Tom Barfey hinaufnehmen, damit er eine Fahne daraus klebe oder es über die Dächer weg wehen lasse vom Wind.
Aber bei diesem Kramen kam ihr auch ein Strick in die Hände. Ein spaßiger Hanfstrick, nicht dicker als ihr kleiner Finger und an beiden Enden mit Blechhülsen versehen wie ein riesiger Schnürsenkel. Erst begriff sie nicht, was das war, wie es in die Kommode gekommen, wo es doch offensichtlich in Laden oder Remise gehörte. Dann aber, während sie das sorgfältig gerollte und mit sich selbst umwundene Strickwesen anschaute, wie sie es so in ihren Händen hielt, tauchte die Erinnerung auf. Der stammte aus Alberts Militärzeit. So einen brauchte man zum Reinigen der
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