Das Beil von Wandsbek
hinan!
»Mensch«, sagte Albert Teetjen und deutete auf die runde Scheibe, die in ihrer schweren Messingfassung über dem braunen Holztisch der kleinen Bar von Regen begossen und vom Hagel gepeitscht wurde. »Was ist das bloß für’n Wetter.« Das Schiff zitterte und schwankte an seiner Ankerkette und den Seilen, mit denen es am Afrika-Kai vertäut lag. Der Blitz mußte irgendwo in der Nähe eingeschlagen haben, aber die schweren Stühle, im Boden verschraubt, boten einen bequemen Sitz, und der eisgekühlte Aquavit, dem sie schon reichlich zugesprochen hatten, nahm dem Ereignis einen guten Teil seiner Realität. Ein hübsches Unwetterchen, komisch, nöch? Mitten in der Heimat, da drüben lag Hamburg, der Blitz hatte vielleicht den Michaeliskirchturm angepeilt, aber der verließ sich nicht auf den lieben Gott, sondern auf einen guten Blitzableiter, sachverständig angebracht und unter Aufsicht des Senats und der Partei in Ordnung gehalten. Was konnte da wohl groß passieren?
Albert Teetjen hatte seinen Schwager Ahlsen in den Mittagsstunden aufgesucht, mit ihm in der Kabüse gegessen, ein Fünfmarkstück eingezogen, statt einer großen Summe aber einen Rat, eine Mitteilung erhalten, dank derer er jetzt in dem braungetäfelten Kneipraum mit dem blauen Linoleumfußboden und den gemütlichen Sitzen einer Einladung wessen gefolgt war? »Denk dir, Albert«, hatte Ahlsen gesagt, »da bin ich gestern mit einem Passagier ins Gespräch gekommen, einem Dr. Kley, Sohn vom alten Makler Kley, dem sie die Thetisschiffe abgejagt haben. Hatte dreimal bei mir in Helgoland das Weekend verbracht, der Herr Doktor, als wir noch Kurbetrieb hatten und unser Adolf den Englishman noch nicht mit dem Flottenabkommen eingeseift hatte. Denn daß wir das nicht halten, kann sich der Chamberlain doch an den Fingern abzählen. Ahlsen, sagte er, was tun Sie denn auf der ›Eleonora Kröger‹? Dasselbe was Sie, antwort ich, Herr Doktor, muß mir mal die Welt ansehen, bin nicht gefragt worden, aber unsereDüne hat jetzt keinen Platz mehr fürs menschliche Vergnügen. Ja, lacht er, und beklagt sich, daß er eigentlich zu zeitig aufs Schiff gegangen sei. Nun wußt ich doch von früher, daß er bei den Dreiundachtzigern gedient hatte. Anno siebzehn steckten sie ja auch die ganz jungen Kerle zu den Landsern. War also ein Regimentskamerad von dir, und so sag ich ihm, daß du mich heute umstoßen wirst, Gefreiter Teetjen von der 7. Kompanie, 2. Bataillon. Teetjen? fragt er, den müßt ich doch kennen. Natürlich kenn ich den. Hatte doch ein Schifferklavier über seinem Strohsack; uns manchen Marsch versüßt. War abkommandiert nach Ober-ost, hat der nicht mit dem Footh zusammengesteckt?« – »Ja, der Kley verzierte die Bataillonsschreibstube«, erinnerte sich Albert, »haben uns nicht mehr wiedergesehen, nichts mehr voneinander gehört nach der Demobilmachung, aber so lief das ja. Das Regiment flog auf, Kamerad her, Kamerad hin, nach ein paar Wochen hatte man vergessen.« – »Er würde sich freuen, der Doktor, wenn du ihm die Langeweile vertriebest, runter will er nicht mehr gern, er ist doch jüdisch. Und«, fiel Ahlsen etwas ein, »Geld hatte der doch wie Heu. Und mitnehmen dürfen sich die Auswanderer heutzutage doch bloß Cash – Kleingeld. Wenn du’s richtig anfängst und triffst ihn in der Gebelaune, warum sollt er dir nicht von seinem Sperrkonto zweihundertzehn Mark überschreiben? Was kann er mit dem Zeug noch groß anfangen, wenn er erst mal draußen ist? Auf irgendeinem Wege fällt es ja doch an die Partei, will sagen an den Staat. Ich paß auf, wenn er ausgeschlafen hat, und schick ihm einen Boy in den Speisesaal, wo er Kaffee trinkt. Wirst sehen, er kommt herunter, und dann hast du’s Wort.« Albert hatte dem Schwager mit großen Augen zugehört. Wie die allermeisten Deutschen ahnte er natürlich nicht, daß man den auswandernden Juden nur Bruchteile ihres Besitzes mitzunehmen gestattete, und auch diese nur unter Umständen und Methoden, die den deutschen Außenhandel befruchteten; er wäre nie auf den Gedanken verfallen, sich auf die vorgeschlagene Weise aus der Schlinge zu befreien, die man ihm gestellt hatte. Es lag ihm auch nicht sehr, auf die Gedankengänge des lebensklugen Helgoländer Gastwirts und jetzigen Koches einzugehen. Aber anderseits mußte er ihm recht geben: Wenn sich das wirklich so verhieltund der kleine Kley umgänglich geblieben war, konnte man, unter Kriegskameraden, doch ein Wort riskieren; auf alle Fälle sich
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