Das Beil von Wandsbek
helfen lassen, irgendwo unterm Bett volle Deckung zu nehmen, wie’s im Kriege hieß.
Die Bekanntschaft wurde schnell vermittelt oder vielmehr erneuert. Dr. Kley fand sogar, daß er den ehemaligen Kameraden auf der Straße hätte erkennen müssen, so wenig hatte der sich in den Grundzügen verändert. Er, Kley, dagegen sei damals ein schmächtiges Kerlchen gewesen, noch alle Haare auf dem Kopf, einen gelichteten Wirbel eingerechnet, der aber jeden Morgen geschickt überkämmt wurde. »Ja«, bestätigte Albert und mußte sich zusammennehmen, um den alten gönnerischen Tonfall zu verbergen, »Glatzen wurden damals auf Kammer empfangen, weil sie als junge Leute ja nicht gewöhnt waren, immerfort eine Mütze oder einen Helm aufzuhaben.« – »Auf Kammer empfangen«, lachte Herr Kley, vor der geölten und polierten Treppe stehenbleibend, die zu den Passagierklassen und Trinkräumen emporführte. »Wie lange habe ich das Wort nicht mehr gehört.« Die Kammer, um die es sich dabei handelte, bezeichnete die Aufbewahrungs- und Ausgabestelle der militärischen Einkleidung und Ausrüstung. Abgesehen von den Waffen empfing der Soldat alles »auf Kammer«. »Ihnen geht’s auch nicht gerade rosig, Kamerad Teetjen, wie mir Ahlsen andeutet.« – »Nee«, entgegnete Albert, »es ist nicht alles Käse, was stinkt.« Er atmete schwer und mußte sich festhalten, so fauchte ihm die Bö entgegen, als sie, auf dem Promenadendeck angelangt, die dreißig Meter bis zur Bar außerhalb der schützenden Aufbauten zurücklegten. »Dunnerlüttchen«, rief Dr. Kley und hielt sich an einem Seilgeländer fest. »Was ist denn das?« – »Springflut«, erklärte ein Deckoffizier in blauer Jacke, der sich vom Winde eilig vorüberfegen ließ, um am Hinterschiff, jenseits der großen Frachträume, etwas ordnen zu helfen. Die Frachtluken waren schon geschlossen und die Mannschaft gerade damit beschäftigt gewesen, ein Schwimmbad aus Segeltuch auf ihnen vorzubereiten, das jetzt im Begriff war, davonzufegen, umherzupeitschen. »Springflut«, wiederholte Dr. Kley und drückte die Tür zur Bar auf, seinem Gast den Vortritt lassend. »Richtig, sollte just anfangen zu steigen. Alt-Hamburggibt mir eine Abschiedsvorstellung.« Der Nordwind drückte die Flut in die Elbe hinein. Kühl und feucht wuchtete er von der See her an, tiefliegend, schwerstoßend. Auf jeder der eisernen Kanten, die ihm die Kräne und Ladebrücken anboten, auf allen gespannten Tauen und aufgerichteten Stangen summte, pfiff und zischte er. Die »Eleonora Kröger«, mittelgroß, achttausend Tonnen, hatte ihm den Bug entgegengedreht, das Stadttelephon war eilig von Bord entfernt worden, die Taue, die sie mittschiffs hielten, spannten sich, schurrten und ächzten an den Pfählen. Fahles Licht brütete über der ganzen Stadt. Eben flogen einem Mann drüben auf dem Kai die Zeitungen mit den großen kriegerischen Schlagzeilen weg, die er emsig festgehalten. Aus dem Segelschiffhafen jenseits der Lagerhäuser schrillten Rufe und Pfeifen, eilten Matrosen in die Takelage, um Leinwand zu bergen oder festzuzerren. Der Spiegel des Hafens stieg, schwärzlich und bleigrau. Blaßschwarz mit gelblichen Rändern und grellen Sonnenpfeilen trieben die Hagel- und Regenschwaden der aufeinanderzueilenden Gewitter. Längst zuckten Blitze von Wolke zu Wolke.
Auf dem Schiff herrschte Betriebsamkeit, verquickt mit gebändigter Aufregung. Ein Großteil der Passagiere war in die Stadt gefahren, ein anderer noch gar nicht an Bord gekommen. Um halb acht sollte alles zum Dinner da sein. Um neun die Verbindung mit dem Lande gelöst werden. Wenn das so weiterging, waren Zwischenfälle unvermeidlich. Die Springflut lief in die Straßen, überfüllte die Kanäle und Keller, machte den Autos die Anfahrt zu den Landungsbrücken schwierig, wenn nicht unmöglich, den Motorbooten und grünen Fährdampfern das Lavieren zeitraubend. Jeden Augenblick mußte der Guß losbrechen, und Gott allein wußte, wie lange er dann dauerte. Die Sommerkleider der Damen, die leichten Anzüge der Herren wurden durchnäßt auch nicht besser. Das veranlaßte viele Herrschaften, solange als möglich in schützenden Räumen zu warten und die Regenschirme zuzulassen, die ohnedies Gefahr liefen, umzukippen, davonzufliegen. Hätte dies verdammte Wetter nicht warten können, bis die »Eleonora Kröger« Cuxhaven glücklich passiert hatte!
In der Bar surrte der Ventilator – für niemanden. Die Hitze im besonnten Schiff war längst durch den kalten
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