Das Beil von Wandsbek
Luftstrom von draußenabgetrieben worden. Eine Flasche Aquavit und zwei Gläser, und dann brachte Dr. Kley einen Trinkspruch aus, den er vor allen anderen liebte und den Detlev von Liliencron in seiner Ballade dem kleinen Mädchen Martje Flohr in den Mund gelegt: »Auf daß es uns wohlergeh in unsern alten Tagen.« Alte Tage, dachte Albert Teetjen gedrückt. Laß uns erst mal jenseits von Cuxhaven sein und über den siebten September wegkommen. Und dann sprachen sie von den groben Neckereien, denen Hamburg durch sein Klima ausgesetzt war und ewig bleiben würde, und die sich mitunter klobig anließen und so manchen Menschen, Schafen, Häusern den Garaus machten. Was dem durchschnittlichen Reichs- und Pfahlbürger zwar entging, den Hamburger aber auf seine Nachbarschaft mit dem »blanken Hans« nur noch stolzer machte. »Und darauf Prost, Hamburg soll leben.« Ein Flugzeug stieß durch die Haufenwolken, drüben blitzte einen Augenblick grell beleuchtet das Bismarckdenkmal auf, fahlgelb, drohend. Dr. Kley hätte sich gern noch etwas mit Liliencrons Gedichten beschäftigt, die er einst mit Thyra Koldewey gelesen. Da sie seinem Nachbarn aber ein Buch mit sieben Siegeln waren, erinnerte er sich daran, daß Ahlsen ihm von einer sonderbaren Geschichte gesprochen hatte, die mit diesem Teetjen los war, und darum fragte er ihn: »Sie wären gerne mitgefahren, Kamerad Teetjen? Sie stehen doch in der SS. Wo drückt Sie denn dann der Schuh?«
Albert war nicht daran gewöhnt, mittags zu trinken, und der Aquavit schmeckte ihm, auch weil er ihn nichts kostete.
Zu allem übrigen ließ der Doktor noch eine Zigarre anfahren, wie Albert sie in seinem Leben nie zwischen den Fingern gehalten hatte, mit rotem, goldbedrucktem Ring, auf dem ein paar unverständliche Worte in Goldprägung hervortraten, Romeo y Julia. Dieser Doktor zeigte sich nicht bloß neugierig auf seine Geschichte, es war was an ihm dran wie an einem alten Kameraden, war ja auch zerrupft, sein Papa sollte sich erschossen haben, als ihm der Staat die Thetisschiffe abknöpfte, die jetzt dem Footh gehörten. Und hatte er nicht dem Ahlsen berichtet, daß der ganze Footh jetzt von Krupp geschluckt würde? Der Mann war ein so echter Hamburger wie nur irgendeiner. Und das sollte nun einJude sein. Aber wenn die Möglichkeit winkte, auch nur ganz entfernt, der kleinen Stine das Schlafzimmer zu erhalten, Lehmkes den Raub zu entreißen – Albert hatte ja nichts mehr zu verlieren! Auf offenem Markt hätte er sich hingestellt und den Leuten gesteckt, was für ein Dussel er war, zu was für einer Dummheit er sich von der Not hatte bringen lassen. »Ja«, sagte er, »Dr. Kley, eine spaßige Geschichte. Wenn’s Ihnen nichts ausmacht, sitzen Sie mit einem Henker am Tisch.«
»Und Sie mit einem Juden«, grinste Dr. Kley. »Ich bin nämlich Biologe, was den Umgang mit verstorbenen Lebewesen bedingt. Na, nun schießen Sie mal los.«
Wilhelm Kley schnupperte die Zigarre des anderen, hörte seinen Stimmklang, seine Worte, den Sinn, die Vorstellungsreihen, die sie auslösten, alles entwirklicht durch den Zauberer Aquavit. Das Flugzeug vorhin war nach Fuhlsbüttel geflogen, wohin die Gedanken von Wilhelm Kley immer wieder mitgingen. Ob das dunkelhaarige Mädel da noch den Trainingsanzug trug, den er ihr mal geschenkt hatte – weinrot und sehr geeignet, nichts Wesentliches darunter anzuhaben? Hätte sich die Thyra Koldewey den Obrigkeiten nicht so gefügig gezeigt, er, Wilhelm Kley, hätte irgendwo in Skandinavien Zuflucht gefunden, sie bald nachkommen lassen, glatt geheiratet. Aber wenn der Faschismus die Lebensluft einer freien Reichsstadt mit Dummheiten und Affekten schwängert, handeln und fühlen auch die gescheiten Töchter überschlauer Väter wie folgsame Gänse. Aufrüstung ist Trumpf – da müssen auch die Köpfe und Herzen eigentlich zum Teig geknetet werden. Zu schwarzweißrotem, selbstverständlich. Kleine Thyra, adieu, schlanke Thyra Koldewey ... Werde ich dich wiedersehen? Dich und unser ewiges Hamburg, wenn dies tausendjährige Reich abgewirtschaftet hat? In vier, fünf Jährchen?
Die Donner polterten, rollten und schlugen wie schwere Lasten durch die Luft. Das Zischen des Windes, die vorüberspritzenden Möwen, der gelbe Schein des Fensters, das Dachgewimmel der Stadt verschwommen im Dunst, alsbald weggezaubert von den peitschenden und trommelnden Regengüssen: das alles fügte sich ihm als Begleitmusik der Geschichte von dem Mann, dem durchschnittlichen Hamburger
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