Das Beil von Wandsbek
Knie und brachte damit das Rund des Tisches zum Kippen, dessen Platte ja nur von einem Mittelfuß gehalten wurde, wenn dieser sich auch gleichsam in drei lange Zehen spaltete. Der mörderische Schreck, das unentrinnbare Erwürgtwerden, die Luft, die plötzlich versiegte, das Blut, welches gegen den Schädel preßte, all das füllte nur wenige Sekunden, die allerdings ein ganzes Leben aufwogen, grauenvoll ausbalancierten.
Zum Glück besaß Stine ein sehr dünnes Genick, es brach sofort unter der Last ihres Körpers. Ob sie vom Blitz, der gleich darauf vom Himmel herunterschlug, noch etwas gewahrte, steht dahin. In dem entsetzlichen Schrecken, der sie durchsauste, schien ihr in gelblicher Helle ein Antlitz aufzuleuchten, welches gleichzeitig einem bilderbuchhaft verhübschten Albert und jenem Herrn Jesus glich, der die kleinen Schriften ihrer Baptistenzeit bunt und liebenswürdig schmückte, wie ihn der Bildhauer Thorwaldsen vor hundert Jahren festgelegt hatte. Ihre Glieder schlugen noch wild, ihre Füße verkrampften sich, und dann hing von der Decke, ein wenig höher als der Tisch, ein schmaler Junge im blaugrauen Overall und gewahrte nichts mehr von dem Regen, der wild in den Hof herniederprasselte. In der Wohnung über ihrem Kopfe schlug eine Tür zu, wurden eilig Fensterscheiben geschlossen.
Drittes Kapitel
Ein Mann kommt nach Haus
Die verbreitete Meinung, daß großer Schreck ernüchtere, einen Berauschten in die Wirklichkeit zurückschleudernd, hat sich wahrscheinlich selten so bewahrheitet wie an Albert Teetjen an diesem Abend. Durch das gewaschene und durchwindete Hamburg sauste er in seiner Taxe, sprühend von Vorfreude. Während der Wartezeit hatte er sich von Schwager Ahlsen vormachen lassen,wie man einen Scheck einer dritten Person übereignet, so daß sie ihn einziehen kann. Er sang noch ein Bruchstück aus der Mitte des Hohenfriedberger Marsches, während er seine Tür aufschloß; da es aber inzwischen neun geworden war und Stine sich bei Gewitter ins Bett zu flüchten pflegte, besann er sich einen Augenblick, bevor er sie halblaut beim Namen rief: »Stine ...« Dann knipste er das Elektrische an, es brannte sonderbarerweise vom Sofa aus, es lag da, wahrscheinlich zum Putzen heruntergenommen, und dann war seine Stine abberufen worden, es roch auch sonderbar in der Bude, alle Fenster waren zu, und was hing denn da von der Decke? Die Birne mit der Schirmöffnung gegen ihn gerichtet, blendete ihn in die Augen, und der Tisch, was fiel denn dem ein, lag da, umgekippt, und was da von der Decke hing, ein Overall, eine Puppe?
Dann faßte er sie an. »Stine?« schrie er fragend. Gar kein Zweifel, hier hing ein Mensch, seine Stine. Schwer zu erkennen, die Augen verdreht, die Zunge aus dem Mäulchen, die Haare halb offen, das Köpfchen schief auf der Schulter. »Na, da komm man runter«, sagte er halblaut ins Zimmer, richtete den Tisch auf, stieg aufs Sofa, hob sie aus ihrem Haken. Wie schwer sie schon in seinem Arm lag. War nicht mehr warm, die Deern, aber auch noch nicht steif, hatte sich wohl umgebracht, während er ganz gemütlich mit dem braven Kley gesessen.
Er kuschelte sie in die Sofaecke mit angezogenen Beinen, zog ihr die Lider über die Augen, brachte die Zunge zwischen die Zähne zurück, schloß ihr den Mund. Er war ja gewohnt, mit Körpern umzugehen. Dann warf er sein Taschentuch über die Lampenbirne, zog sich halb aus und wusch sich Gesicht und Kopf. Im Schlafzimmer schloß er den Wäscheschrank, der noch offenstand, dann schlich er zum Tisch zurück – anders konnte man die unnatürlich langsamen Bewegungen nicht nennen, die ihm jetzt nur möglich waren – und setzte sich in die andere Sofaecke, seiner Deern gegenüber. Was war ihr bloß eingefallen? Wie konnte solch ein Entschluß in ihrem armen Kopfe reifen, ohne daß er das Mindeste merkte? Die Leute hatten soviel überflüssigen Dreck erfunden, Radio und Lautsprecher, die da eben von vermiedenem Krieg um die Tschechoslowakei quasselten. Aber daß einerdes anderen Gedanken erriet, daß einer las, was so im Kopf seiner Kleinen vorging – nicht die Bohne. Das war ja alles Wahnsinn. Er träumte natürlich. Er lag irgendwo besoffen an Bord der »Eleonora Kröger« als blinder Passagier, und die würde gleich unter Dampf gehen, und er träumte das Scheußlichste, was ihm je durch den Brägen gegangen. Bloß die Augen aufmachen und der Spuk war weg.
Aber er hatte die Augen offen, und der Spuk blieb in der Sofaecke kauern, wie er vorhin von
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