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Das Beil von Wandsbek

Das Beil von Wandsbek

Titel: Das Beil von Wandsbek Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Arnold Zweig
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verschnaufen.
    »Hast du deinen Fehler gefunden?« fragte Thyra, die waagrechten Brauen über den schrägstehenden Augen kummervoll zusammengedrängt. »Ich meinen nämlich nicht.« – »Ist doch alles Koks«, tröstete Ingebottel, »ich meinen mit Leichtigkeit. Ein gutes Stück Isolierband in die Metallklammer am Schornstein geschoben, das war alles. Gehen wir nunter und schalten wir ein, ich möchte hören, ob’s noch kracht.« Thyra dachte, in Hamburg sage man »runter«, und es sei nicht recht, die Sprechweise eines Süddeutschen anzunehmen, bloß weil man zurzeit mit ihm schlafe. Sie mochte ihre Schwester sehr gern leiden, diesen leichten, kräftigen Gegensatz zu ihrer eigenen bedrängten Schwere – und nun sollten ihre Schicksale in gleichem Rhythmus zu Ende gehen? Sie steckte den Bleistift hinters Ohr durch die dicken, dunkelblonden Wülste, die man damals trug. »Sollen nicht sehr alt werden, Frölen, wir zwei beide, scheint es.« – »Will ich auch gar nicht«, bestätigte die Jüngste, »kann ich mir gar nicht vorstellen von mir, oder möchtest du wie ne alte Hutzel herumlaufen oder einem Gefolgschaftsführer ein halb Dutzend Göhren an den Hals hängen? Nee«, rief sie und dehnte ihre Arme. »Früh angefangen zu leben, und das haben wir ja wohl, und tüchtig in den saftigen Apfel gebissen, und wenn abgekratzt werden muß, na denn man tau. Übrigens kann ich dir sagen, von unserem Dach aus Hamburg sehen und dann nicht vor Wut platzen, daß man kein Maler ist ...! So ein Gefunkel von der Altstadt her, von all den Kirchtürmen und Spiegelscheiben, und vom Hafen das Rot und Schwarz der großen Dampfer und all die Wässer heute blau, herbstblau, ganz zart, gar nicht knallig; na, und die Grünflächen und all das Mauerweiß ...! Möchte doch meine Wasserfarben mal wieder heraussuchen.«
    Der Junge wird dir Anleitung geben, dachte Thyra schwermütig. Nur wer so lebensvoll ist, kümmert sich nicht ums Sterben. Sie schloß den Nietzscheband, stellte ihn wieder ins Regal, rollte ihre Bogen zusammen und strich ihr langes Kleid glatt. »Auf einem deiner Dampfer ist jüngst der Wilhelm Kley abgetrudelt. Wardoch der einzige Mann, mit dem ich etwas hätte anfangen können; wollte nicht bloß immer nehmen und haben, auch immer etwas geben; Gedanken abladen, Überlegungen. Mein roter Training zet Be stammt von ihm.« – »Laß fahren dahin«, entgegnete Ingebottel, »wäre doch Rassenschande geworden, hätte nie gut geklappt.« Thyra nickte mehrere Male, aber ihre nahe beieinander stehenden Augen vermieden den Blick der Schwester. »Papa jedenfalls und seine Käte hätten nichts dagegen gehabt.« – »Papa!« entgegnete Ingebottel, halb mitleidig, halb entrüstet. »Was, meinst du wohl, hat er mir jüngst geantwortet, als ich ihn mit seinem Nietzsche aufziehen wollte! Was er wohl dazu sagen werde, wenn seine Lehren Wirklichkeit würden und die blonde Bestie ihre totale Kriegsführung ins Werk setzte, nach Westen oder Osten? – Die Wirklichkeit von Gedanken sei gedanklicher Natur, hat er mich belehrt. Sie gelten im Geisterreich der Ideen, nicht aber im brutalen Alltag; und dann erzählte er mir was von einer Höhle und von Platon, das ich zum Glück sofort vergaß. Diese alten Herren werden sich wundern, wenn die Jugend sie beiseite fegt, der Führer an der Spitze.«
    »Glaubst du nicht, daß Papa große Angst vor dem Alter hat, vor dem Sterben? Diese ganze Philosophie, einschließlich seines Nietzschefimmels, geht nach dem Horoskop hervor aus der Furcht vor dem Tode. Was soll er tun, der arme Mann? Er hat keinen Sohn, bloß uns Mädels. – Sahst du übrigens von deinem Stand da oben zufällig Dr. Laberdan vorübergehn?«
    Sie ließ die Schwester durch die Tür, folgte ihr auf den Hängeboden und schloß die Mansarde. Dann stiegen sie die Treppen hinab. Ingebottel dachte: ein Biologe müsse es bei Thyra ja wohl sein – schüttelte aber den Kopf mit den hochgebundenen Zöpfen. »Konnte ich auch kaum«, entgegnete sie, »beklagt den Verlust seines Teetjen und übt neue Schüler mit der Wünschelrute ein, draußen im Gelände. Ja, der und seine Stine! Weißt du noch, wie wir sie mit dem Tannhäusermarsch zum Hochzeitsfrühstück hereingeleiteten?« Und sie lächelten beide zu der heiteren Erinnerung hinüber. »Schade, daß ich ihr Horoskop nicht gestellt habe«, meinte Thyra versunken. »Wirkten doch wie das saftige Leben selber, der Mann und die Frau. Und jetzt hätten wir docheinen Beweis, wieviel an der Sache dran

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