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Das Beil von Wandsbek

Das Beil von Wandsbek

Titel: Das Beil von Wandsbek Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Arnold Zweig
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dabeisein zu dürfen, wenn die blutbefleckten Kittel und Schürzen in Kesseln verschwanden, nach dem Kochen aber herausgeholt wurden zum Rubbeln, Wringen und Spülen und dann schwer und schneeweiß trockneten oder auf dem Rasen bleichten. Dabei hatte die Mutter, den blonden Haarkranz über den eindringlichen Augen, den Sohn belehrt, auf Blut folge die Bleiche, auf jede Schuld die Sühne. Und ebenso lebte noch in Alberts Gemüt Großmutter Posthorn, wie sie zu Besuch kam oder später ganz zum Schwiegersohn zog, um der Tochter beizustehen in ihren vielfältigen Verrichtungen als Hausfrau, Schlächtersgattin und Mutter dreier Kinder. Großmutter Posthorn, in ihrem leisen, feinen Dithmarsisch, das schneeweiße Haar sauber gescheitelt über dem braunrunzeligen Gesicht, pflegte zu sagen, wenn Albert, Theodor oder die kleine Anna unfolgsam waren, gestraft werden mußten und dann nicht abbitten wollten: »Ihr werdet doch nicht verstockter sein als die Mörder im Zuchthaus. Von denen will jeder seine Strafe. Da bestehen sie drauf. Lieber Kopf ab in Ehren, als unbestraft und weggejagt wie die Zigeuner.« Ja, Zigeuner und Juden hatten es ihr angetan, der Großmutter. Friedloses Gesindel, ohne Ahr und Halm ... Wäsche waschen war schön, aber Schweineschlachten auch. Man mußte sich nur die Ohren zuhalten, weil die Biester doch kreischten, wenn man ihnen ans Leder wollte. Er schmunzelte, stopfte sich eine Morgenpfeife, legte die Axt griffgerecht auf die Kommode, verkaufte dem Dienstmädchen von Petersens Durchgedrehtes, Rind- und Schweinefleisch gemischt, das man roh essen konnte, Beefsteak à la Tartare, oder braten als deutsches Beefsteak oder falschen Hasen; und der Witwe Paradeis von gegenüber ein halbes Pfund schöne Leber, nebst gespaltenen Knochen zur Suppe, und machte sich, da Stine nicht zurückkam, ausgangsfertig,bei Lehmke zu telephonieren. Früher hätten Gewerbetreibende sich Abwesenheit am Vormittag kaum leisten können. Ja früher! Als Hamburg noch ein Tor für große Aus- und Einfuhr war und die Republik gepumptes Geld unter die Leute brachte ... Er seufzte, spie in den Spucknapf, brach den Gedanken ab. Es hatten sich zwischen zehn und elf die Kundinnen auf den weißen, buntgeblumten Fliesen gedrängt und die Marktkörbe oder Einholetaschen auf den Ladentisch gestellt, rotes Roastbeef, fest und markig, oder blasses Schweinefleisch und weißen Speck, in sauberes Pergamentpapier gewickelt, gegen gutes Silber eingetauscht und eins geschnackt, gelacht, neue Witze ausgepackt und munter die Zungen gewetzt, in einem beteuernd, wie eilig man es habe. Jetzt freilich, wie vorsichtig waren die Leute geworden und wie rar ...
    Einem Schub des Ladentisches entnahm er ein Schild, sonnenvergilbt und mit roter Bordüre »Bin zurück in zehn Minuten«. Von innen an die Tür gehängt, bewog es oft selbst Laufkunden zu warten oder inzwischen noch eine Besorgung zu erledigen. Früher hing es draußen; aber die verdammten Kinder trieben Unfug damit, bekritzelten es mit Bleistift: »Ja nich wohr« und »Döskopp, komm wedder«. Und so hatte er’s, mittels einer Gummihaftscheibe, nach innen retten müssen – unbequemer, aber was wollte man machen.
    Er trat an die Scheibe, berührte sie mit Stirn und Nase. Die Straße gehörte den Kindern, zumindest eine so unbefahrene wie die Wagnerstraße. Da spielten sie Ball, Kreisel und Reifen, je nach der Jahreszeit. Just vor seinem Laden hatten sie sich angewöhnt, mit Kreidestrichen die breiten Granitpflaster in rhythmisch angeordnete Abschnitte zu teilen, welche auf einem Bein durchgehüpft werden mußten und Himmel und Hölle hießen; den Rinnstein ebenda ausersehen, wenn es geregnet hatte, Staudämme anzulegen und Schiffchen schwimmen zu lassen – Holzstücke, Strohhalme, auch Boote aus kunstvoll gefaltetem Papier; gut Wetter aber brachte Kreisspiele mit Gesang und Abzählversen, die den ungehinderten Zu- und Abgang der Kundschaft störten. Und da half kein Schimpfen, im Gegenteil, machte es schlimmer. Ungeschriebene Gesetze regelten die Gewohnheiten,unveränderbarer als geschriebene. Dieser Teil der Wagnerstraße – Kinderspielplatz war und blieb er. Und wenn es Herrn Teetjen nicht paßte, konnte er ja ausziehen. Besonders seit die »Blase« als Jungvolk in der Hitlerjugend zusammengefaßt war, genoß sie Macht.
    Albert Teetjen, aus dem Laden tretend, zuschließend und ausschreitend, dachte grimmig: Donnerwetter, wär ich jetzt ein Junge, einer wie ich damals war, der Indianer spielte

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