Das Beil von Wandsbek
als entarteten Künstlerverhungern lassen. »Was muß der gelitten haben«, flüsterte Annette. – »Da er daneben auch ein Dichter war, sah er vermutlich auch den Sinn. Unsere Gesittung höhlt sich aus. Es steht noch eine imposante Schale aus Technik, Organisation, Routine und Erbteil. Doch wer weiß, wie lange die noch hält. Wenn es die Narren zum Kriege treiben, wird auch der ganze Rest noch schnell verschleißt; dann kracht es, der hölzerne Hindenburg oder Adolf stürzt zusammen, und wenn sich der Staub verzogen hat, macht man Kasse und beginnt von neuem. An derselben Stelle, denselben Betrieb. So sind die Menschen, die Ameisen und die Engel. Drücken sich aber die anderen weiterhin, so kann es noch zehn Jahre gehen. Das, siehst du, möcht ich nicht erleben. Und darum frag ich mich, was wohl die Glocke geschlagen hat – die Telephonglocke, die uns Herr Brose nicht durchleitete. Jemand rückt gegen uns vor, Annettchen.« – »Sie können nicht unschuldig sein, Papa.« – »Willst du die Akten studieren, Kind? Deutsche auf Deutsche haben geschossen. Nenn es Notwehr, Bürgerkrieg, Totschlag, Mord. Wenn die Zivilisation schon so weit abgetragen ist wie in unserem Falle, sind diese Unterschiede vielleicht schon zu fein. Ein wildes Völklein, diese Nazis, die uns in Besitz genommen haben, ausgerechnet uns. Offenbar hat die blonde Herde in uns auf die braune Horde gewartet. Auf das überschäumende Leben unseres armen Fritz, auf seinen siegreichen Typus, auf die blonde Bestie. Die haben wir ja nun, weiß Gott. Und nun geh schlafen, Kind. Du mußt morgen zeitig raus.« – Annette glitt von seinen Knien, sie fühlte sich wirklich recht zerschlagen, ganz überraschend, nach dem schönen, gelungenen Abend. »Wo nur die beiden Gören bleiben?« damit hielt sie sich die Hand vor und gähnte. »Und wann nun gedenkst du das traurige Schauspiel anzusetzen, wie du es nennst?« – »In vierzehn Tagen«, sagte er, »jetzt ist’s erster September, am fünfzehnten also. Und danach dann wird Herr Hitler uns Hanseaten mit seinem Besuche beehren.«
III
H. P. Footh, sein Wagen und sein Dackel gehörten zusammen. Das wußte Käte Neumeier. Sie schmunzelte behaglich, als Herr Footh vor dem Starten zwischen Haustor und Mauerpforte mehrere Male hatte pfeifen müssen, bevor Herr Ebert sich herbeiließ, aus den Büschen oder von den Hauptgebäuden heranzuschießen, mit schlagenden Ohren und begeistertem Schwanz. »Verdammte braune Rübe«, schimpfte Herr Footh zärtlich. »Solltest du nicht Wache halten? Entschuldigen Sie, Frau Doktor, er hat keine Manieren. Gewöhnlich kommt er schon, wenn er die Haustür hört.« Inzwischen hatte sich die Verabschiedung von Koldeweys vollzogen, Annette hatte gewinkt und gegrüßt – man konnte ihre Armbewegungen auslegen, wie man wollte, und war mit ihrem Vater wieder hinter der eisernen Pforte verschwunden. »Wie reizend Annettchen immer aussieht«, sagte die Ärztin, indem sie den Mantelkragen hochschlug und sich hinter die Windscheibe duckte. Herr Footh ließ seinem Wagen die Zügel. Er brauste auf den Stadtpark zu und antwortete erst verspätet und einsilbig. »Nicht mit dem Fahrer sprechen«, mahnten Aufschriften in ganz Europa. Mein Fahrer ist vielleicht ärgerlich. Er hätte die reizende Annette sicher gern mit in sein Nest entführt, statt mich in der Wandsbeker Chaussee abzusetzen. Warum sie eigentlich nicht heiraten. Koldewey ist ein schrecklicher Egoist.
Auch Herr Footh dachte in diesem Augenblick an seinen zukünftigen Schwiegervater. Der Mann hegte ein paar unangenehme Züge, die er sich würde abgewöhnen müssen. Daß er Hunde nicht ins Haus ließ, nicht einmal entzückt war, wenn sie im Garten herumfuhrwerkten, auf Igel pirschten oder Mäuse. Ferner hätte sich ein jeder bei Footh dafür bedankt, daß der Teetjen angerufen hatte. Einen Amateurhenker herbeizaubern, das geschah doch nicht am laufenden Band. Aber diese oberen Beamten fanden alles selbstverständlich, was ein Nichtakademischer für sie tat, trugen die Nase hoch und machten sich rar. Tja, sie konnten es sich leisten. Dieser Herr Koldewey durfte neben seinem Klubsofa in aller Ruhe solch scheußliche russische Bäuerin zur Schau stellen, diesen entarteten hölzernen Hindenburg in Weibsgestalt. JederMensch hielt dafür, daß er es nur zur Abschreckung tat und um seine Gäste zu belustigen. Denn an der gleichen Wand hing ja eine stimmungsvolle Morgenlandschaft aus Rügen von einem gewissen C. D. Friedrich, den man
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