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Das Beil von Wandsbek

Das Beil von Wandsbek

Titel: Das Beil von Wandsbek Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Arnold Zweig
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rief sie jetzt beinah scharf und schlug leicht auf den Tisch. »Glauben Sie wirklich, es hätte Sinn gehabt, in den Kampf zwischen den alten und den neuen Mächten einzugreifen? Das alte Hamburg hätte uns in Polizeistrafe genommen. Auch gegen diese hätte ich protestiert, denn ich wollte ja nur den schwerverwundeten Krischan Haas vor den strammen Stiefeln der SA. beiseite schleppen. So gewiß, wie Sie hier vor mir sitzen, habe ich zwei Leute, die geschossen hatten, über einen Zaun klettern, verschwinden sehen. Beim Lokaltermin behaupteten die Schupos, von der Stelle aus, die ich angab, sei dieser Zaun nicht sichtbar, und von da an nagelte mich die Anklage auf dieses Diktum fest. Daß ich die Straßenseiten verwechselt haben könnte, bei dem Unterschied zwischen Nacht und Vormittag, und eine falsche Ecke angegeben, wollten sie nicht gelten lassen, dazu sei ich zu intelligent. Nein, Frau Doktor, es ist besonders nett von Ihnen, mir dazu Mut machen zu wollen. Aber in diesem Kampf der beiden Kraftfelder um die Oberhand hätte das Gnadengesuch einer so unbedeutenden Person, unterzeichnet W. N. Mengers, doch keinerlei Gewicht.« – Käte Neumeier sah auf das Handgelenk, die Uhr. Ihr wirklicher Besuch galt Friedel Timme. Sie wurde ungeduldig, drängte zu ihm. Unter anderen Umständen wäre diese Unterhaltung mit dem Besteller und Leser schwieriger Bücher ein Vergnügen gewesen. »Lieber Herr Mengers«, entgegnete sie, »muß ich Ihnen sagen, daß kein positives Kraftfeld seiner Ladung so gewiß ist, daß es nicht jedes Elektron zur Verstärkung an sich zieht? Ihrer Meinung nach ringen die konservativen erhaltenden Mächte, verkörpert in den Ministerien, mit dem revolutionären Massenangriff der Partei, der SA. Wäre es nicht richtiger gewesen, der hamburgischen Tradition die Handhabe zu geben, die in einem Gnadengesuch an den Senat liegt?« – »Wenn man dem Senat nicht diesen Clownvon sogenanntem Reichsstatthalter auf den Nacken gesetzt hätte, der ihn reitet, wie jener Inselgreis Sindbad, den Seefahrer. Wir Mengers kamen nach Hamburg aus Bremen, wo wir schon seit Zeiten Heinrichs des Löwen begraben wurden, die jüngere Linie verpflanzte sich zu Zeiten Moses Mendelssohns hierher. Als Lessing hier die Hamburgische Dramaturgie und Matthias Claudius den ›Wandsbeker Boten‹ publizierten, bewies mein Vorfahr, Benjamin Mengers, bereits so viel Sinn für Literatur, die Blätter zu sammeln und binden zu lassen; bei dem großen Brand vor hundert Jahren flogen sie als Asche ins Alsterbassin. Fragen Sie die Herren, die ich um Gnade bitten soll, was sie damals für Hamburg bedeuteten und Hamburg für sie.« – »Stolz lieb ich den Spanier«, zitierte die Ärztin, im Begriff aufzustehen. – Aber Mengers streckte seine Hand aus: »Mißverstehen Sie mich nicht, verehrte Frau. Ich weiß, wie gut Sie es mit uns meinen. Wenn’s Ihnen ein Gefallen ist, reich ich noch morgen eine Bittschrift ein. Worauf kommt’s denn an? Daß man in Deutschland atmen kann. Daß Deutsche zwar von Nazibestien gefoltert und ermordet werden, im ordentlichen Gerichtsgang aber immer noch so was finden wie Recht. Wie, ist ja so schnuppe. Wir wissen doch, wir wateten in dieser Republik bis an die Knie in Ungerechtigkeit, alles gegen die Arbeiter, sobald sie nicht kuschten. Wir haben sie bekämpft, wir wollten eine bessere, die man hätte haben können. Aber wenn uns die Justitia jetzt umlegt, dann laß fahren dahin. Dann machen die Beamten, die Banken, die Börse ihr Spielchen ad libitum. Und das glaube ich nicht. Angesichts solchen Unfugs würde die Erde Risse kriegen, die Häuser würden einstürzen, die Gasleitung platzen, Flammen aus dem Pflaster brechen; in Flutzeiten die Elbe drei Meter hoch in den Straßen stehen. Die Leute müßten Flöße und Gondeln benutzen. Gibt’s das? Keineswegs. Der Schlamm steht einem jetzt bis zu den Hüften. Aber drunter dehnt sich fester Zement. Man reinigt das deutsche Haus wieder, eines Tages. Die Sowjetunion zieht uns aus dem Dreck, die Russen lassen uns nicht im Stich. Ich müßte zwar lügen, wenn ich behauptete, alles zu verstehen, was seit fünfunddreißig dort vorgeht, aber ...« – Käte Neumeier erhob sich: »Haben Sie Lust, Herr Mengers, ein Gnadengesuch zu schreiben oder nicht?« Verwandtmit der Senatspartei, dachte Mengers schnell, vielleicht einen Bruder bei den Gerichten. »Gut«, gab er zu. Er werde morgen um einen Foliobogen bitten und ein ordentliches Gesuch der Anstaltsleitung zur Weitergabe

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