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Das Beil von Wandsbek

Das Beil von Wandsbek

Titel: Das Beil von Wandsbek Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Arnold Zweig
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ersuchen muß, doch lieb zu sein und um Gnade zu bitten?« – »Gott«, meinte Käte Neumeier, indem sie etwas Asche von ihrem dunkelblauen Herbstkleid abklopfte, »die ganze Angelegenheit ist undurchschnittlich. Ihr Prozeß, seine Dauer, Ihr Henker – warum sollen es die Angeklagten nicht auch sein?« – »Mein Prozeß?« fragte Koldewey erstaunt, »da muß ich schon bitten! Ich identifiziere mich nicht mit ihm, weder mit seinem Anfang, noch mit seinem Ausgang, der ja noch kein Faktum ist. Bitte sehen Sie in mir weniger einen Schauspiel- als einen Schauplatzdirektor. Und hier ruft Annette«, damit wies er auf das Telephon neben seinem Sessel, das soeben läutete, und hob den Hörer ab. »Um halb sieben zu Mengers, um sieben zu Timme.« –
    Die Zeiten sind vorüber, dachte Käte Neumeier, in denen Gefängniswärter mit riesigen Schlüsselbunden klirrten und ihre Kinder den Gefangenen eine Scheibe Brot zusteckten. Bloß daß unsere »Schergen« aus den Tagen der guten alten Republik ihren Charakter bewahrt haben und man durch diese langen Korridore noch immer eilt wie durch einen Bienenkorb der sozialen Besserung: auch wenn die neuen Herren den Strafvollzug in Stufen schleunigst abgeschafft haben. War es nicht reichlich unvorsichtig, Humanität so ausdrücklich abzubauen? Wenn sie selber einmal in Verlust geraten?
    Der Strafgefangene Mengers erhob sich beim Eintritt des Wachtmeisters und der Dame, schloß sein Buch, grüßte Guten Abend und bot ihr seinen Hocker zum Sitz an. Er selber stand an die Wand gelehnt, ein langer, ziemlich schmaler Mann mit dünn gestrecktem Hälschen, auf dem ein kluger Kopf mit eng beieinanderliegenden jüdischen Augen sich wohlgefällig bewegte. KäteNeumeier beschimpfte sich in ihrem Herzen für die Tatsache, daß sie den Hals des zum Tode Verurteilten überhaupt bemerkte, fand sich als Arzt entschuldbar und sogar dazu berechtigt. Das an die Wand geklappte Bett durfte der Hausordnung gemäß noch nicht aufgestellt werden. Mengers bat um Entschuldigung und setzte sich auf seinen kleinen Tisch. Käte Neumeier blickte zu dem kleinen, hochangebrachten Fenster auf, indes sie Lene Prestows Vermächtnis ausrichtete. Daß die Lene gestorben und begraben sei, habe Mengers ja erfahren. »Sie wollte Ihnen ihr Kontrollbuch hinterlassen.« – »Wahrscheinlich weil ich Buchhändler bin«, scherzte der Mann mit den melancholischen Augen. – »Aber das ist Eigentum der Polizei und fällt an sie zurück.« – »Aus Abfall bist und zu Abfall sollst du wieder werden, womit ich nicht die Lene meine. Die hatte Charakter, die war treu. Es ist recht unwahrscheinlich, daß ich sie vergessen werde – auch ohne dieses Andenken.« Käte Neumeier ärgerte sich über das Wort Abfall als Bezeichnung für eine Staatsbehörde im Munde dieses jüdischen Buchhändlers, aber sie unterdrückte jede Entgegnung, zum Beispiel die, daß sich Herr Mengers ja dieses Andenkens nicht lange hätte erfreuen können. Sicher hatte er ihr mit seinen knochig schlanken Händen in der Mönkebergstraße so manches Buch eingepackt. Dennoch fragte sie ihn, ob er diese Bemerkung ironisch gemeint habe. »Weil ich nur noch zehn, vierzehn Tage zu leben habe? Das eben ist es, was ich nicht glaube. Ich glaube weder an den kranken Herrn Dencke aus Magdeburg, noch an seinen Stellvertreter aus Hamburg. Ich weiß nicht, ob Sie sich einmal mit unserm absurden Prozeß beschäftigt haben, Frau Doktor. Falls aber ja, so wissen Sie auch, daß man auf solche Indizien und von so weit hergeholten Zeugen kein Todesurteil gründen kann. Vielleicht unter Räubern, SA. und SS., im Krach, im Suff. Aber selbst die würden sich, wieder nüchtern, eines solchen Justizmordes schämen. Unser Theaterstück dauert jetzt drei Jahre. Wir haben es die ganze Zeit nicht schlecht getroffen – alles alte Ordnung, in der Strafanstalt Glasmoor sogar dieselben Beamten, das gleiche Reglement, die angenehme Landarbeit, ein großes Stück Freiheit mit in den Strafvollzug hineingebaut. ›So dumm ist keiner, daß er aus Glasmoor durchbrennen würde‹ stand unsichtbaran der Stichwand der Baracken. Und nach alledem ein blutiger Schluß? Glaub ich nicht. Das wäre weder preußisch noch hansisch, noch gar deutsch.« – Käte Neumeier fand diesen Mann plötzlich sehr jung, sehr weltfremd, sehr Bücherwurm. Lag das an seiner Stimme, die etwas freundlich Heiseres an sich hatte, an den Gesten seiner Hände? »Das hätte Sie nicht abhalten dürfen, ein Gnadengesuch einzureichen«,

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