Das Beil von Wandsbek
Herren gezittert, ich gab ein böses Beispiel. Darum müssen wir jetzt weg. Daß noch ein paarSchuldlose mit draufgehen – im Kriege sind Millionen draufgegangen. Und werden wieder. Klare Rechnung, wie?« – Käte Neumeier fand es kalt in dieser Zelle; geheizt wurde erst ab fünfzehnten Oktober. »Und solcher Hirngespinste wegen riskiert ein Mann seinen Kopf«, sagte sie wie zu sich selbst, »da ist ja nichts zu machen.« – »Ich habe ’ne Frau und zwei kleine Jungen, die ich gerne großgezogen hätte. Für unsere Sache, ein besseres Deutschland«, entgegnete er und fuhr sich mit dem Handrücken unter die Augen, wischte die Finger an der Jacke ab. »Frühjahr dreißig hätt’ ich auswandern können, in die Sowjetunion, aber ich wollte nicht. Das war der Fehler. Wenn’s hart auf hart kommt, glaube ich, werden die Genossen doch merken, wie der Wind weht. Zusammenstehen wie im Kapp-Putsch. Und Schluß machen. Besser als vierundzwanzig. Dreiunddreißig hätten wir uns zur Wehr setzen können, Hamburg halten, die ganze Unterelbe. Bei uns wären die Nazis nicht hochgekommen. Da können Sie Gift drauf nehmen. Aber wir paßten auf das Signal von Berlin, und das blieb aus. Und so sitzen wir denn hier und warten auf den Schlußpunkt.« – »Timme«, rief Käte und schüttelte ihn an den Achseln, »das ist alles Quatsch, heilloser Blödsinn, und ich werd’s Ihnen beweisen. Machen Sie eine Eingabe, Mensch! Ich fahre damit selber zu Ihrem alten Regiment, ich kenne den Oberstleutnant Lintze. Schreiben Sie, Sie seien zweimal verwundet worden und wie Sie aus dem russischen Gefangenenlager ausrissen mit den österreichischen Ärzten und über Persien zurückkehrten – alles, was Sie mir damals erzählten. Dann werden wir sehen.« – Er blickte sie an, schüttelte den Kopf und lächelte: »Sie haben wohl nicht gehört, Genossin Käte, wie sie in den KZ.-Lagern mit Leuten umgingen, die das goldene Verwundetenabzeichen besaßen, vier- oder fünfmal verwundet wurden – und dann mit Stahlruten ausgepeitscht, aber deftig. Nee, Kleine, du lebst noch immer nicht in der Gegenwart, im Reich des Sonnen-Adolf. Vielleicht kriegst du die andern frei bei deinem Lintze – sollte der nicht mal dein Schwager werden? Mir war doch so. Ein Mittel freilich gibt es«, schloß er, senkte die Stimme, trat dicht an sie heran, »eine gute Stahlfeile, fünf Hundertmarkscheine, was man früher blaue Lappen nannte, und zur verabredeten Stunde ein Motorrad, gut getankt,links vom Ausgang, fahrbereit an der Mauer. Von zwei bis drei haben wir Spaziergang, für je hundert Mark schießen fünf Wachtmeister vorbei. Ich riskiere bloß meinen Kopf; wer mir half, bleibt unbekannt, die Partei ganz einfach oder die Russen. Na, Käte? Wenn’s dir ernst ist?« – Käte Neumeier sah ihn entsetzt an, stand langsam auf. »Das dürfen Sie nicht von mir verlangen«, flüsterte sie, »das kann ich nicht«, schleppte sich wie gelähmt zur Tür, hörte ihn noch kurz lachen und zog sie hinter sich ins Schloß. Zellentüren schnappen fest ein, wußte sie, als sie im hellen Gang stand. Sie wäre gern auf Wunschesflügeln heimgeflüchtet, in ihr Bett, statt an Annettes Abendbrottisch zu sitzen und über Herrn Footh zu plaudern. Der kluge Herr Koldewey würde sie wieder aufrichten, vielleicht von der Norag ein wenig Musik.
Drittes Kapitel
Wieder Herr im Haus
Als Käte Neumeier den Hörer in die Telephongabel zurücklegte – es war am andern Morgen früh, sie hatte tief und traumlos geschlafen –, sagte sie sich: Unheimlich, wie das klappt. Zum Abergläubischwerden. Es stellte sich nämlich heraus, ausgerechnet heute habe Oberstleutnant Lintze um die Mittagsstunden in ihrer Gegend zu tun, auf den Exerzierplätzen, und könne sie abholen. Ein kleiner Spaziergang unter gelben Bäumen werde einem zum Fettansatz neigenden Bürosoldaten gut tun und auch ihr nicht schaden, obgleich er überzeugt sei, sie sei noch so fit wie früher, als die Familie Lintze das Vergnügen hatte, sie des öfteren zu sehen. Um halb zwei, wenn’s passe, Wandsbeker Chaussee zwei, nicht wahr? Der Gleichklang der Zweien werde verhindern, daß er oder sie die Stunde verwechselten; auf Wiedersehen also. Charmanter Mann – charmant und aalglatt. Tat er nicht so, als wüßte er ihre Adresse noch auswendig? Aber leider hatte Käte Neumeier scharfe Ohren; das Umwenden von Papierblättern, wenn einer im Notizblock stöbert, läßt sich schwer verkennen. Nun, auch sie war nicht von gestern und hatte ihren
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