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Das Beil von Wandsbek

Das Beil von Wandsbek

Titel: Das Beil von Wandsbek Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Arnold Zweig
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weit gewesen wie später oder jetzt, der Friedel Timme wäre mir nicht entwischt. Aber damals verstand ich weder etwas von mir noch von den anderen, hatte mich von dem Geschrei der Kollegen abhalten lassen, etwas von dem Professor in Wien zur Kenntnis zu nehmen, dem verdammt großen Juden, gegen den sie alle Sturm laufen. »Das Weib sucht aktiv ein passives Sexualziel.« Solch einen Satz allein schreibt ihm keiner nach. Im Grunde genommen muß ich ihn ja abschwören, seitdem ihn die Studenten vor dem Opernplatz verbrannten. Aber das würde zu weit führen. Die alte Hedwigskirche wird sich überhaupt gewundert haben, daß sich auch die Unchristen so gut auf Autodafés verstanden. Nee, liebe Herren, die Wissenschaft wollen wir lieber den Wissenschaftlern überlassen. Und jetzt Koldewey anrufen. Damit ging sie, mit Bastschuhen, porösem Unterzeug und einem wattierten Morgenrock bekleidet, in ihr Wohn- und Wartezimmer hinüber, in welchem die treue Marie bereits den Kaffee, das Ei und frische Hamburger »Rundstücke« vorbereitet hatte, und wo die neue Zeitung und frisch eingetroffene Post lag. Ein Flugpostbrief mit argentinischen Marken! Dank unserem Zeppelin, der den Südatlantik so zuverlässig überquerte, wie es keinem Flugzeug je gelingen würde.
    Sie saß und las, trank dabei Kaffee, biß in ihr Brötchen, las weiter. Irgend etwas dämmerte da. Das spanisch sprechende Fräulein hatte sich wohl als das Flittchen herausgestellt, als welches sie Käte von vornherein eingeschätzt. Jedenfalls bezeigte der Flugpostbrief wenig Enthusiasmus mehr für die Aufgabe, den ABC-Staaten die Größe des Dritten Reiches und seine befreiende Mission vor Augen zu führen. Diese Aufgabe, fand man, sei gelöst; in Südamerikagab es keine oder so gut wie keine Gegnerschaft mehr gegen Adolf Hitler. Die Hauptschlacht für ihn mußte in New York geschlagen werden, und dahin strebte denn auch offenbar der ehrgeizige Schreiber des Briefes.
    Ob K. N. noch ihr vortreffliches Englisch frisch erhalten hatte? Sonderbare Frage. Sie hätte ihr früher das Blut durch die Pulse gejagt, die Frage. Augenblicklich war die Lust, ihr nachzusinnen, in Käte Neumeier gering. Diese Sache hatte Zeit. Das Dritte Reich zu verlassen, in dem so viele tüchtige Mediziner jüdischer Rasse nicht mehr arbeiten durften, war töricht gegen einen selbst und gewissenlos gegen die Volksgenossen. Und jetzt war der Augenblick für ein Telephongespräch gekommen. Den neuen Brief in der Hand, konnte sie recht wohl Paula Russendorf anrufen, dann ihren Mann an den Apparat bitten. Für eine Patronin von Fuhlsbüttel gab es immer Gründe oder Vorwände. Nein. Sie wollte lieber Koldewey bitten, das Vorgelände aufzuklären, den Staatsanwalt zu fragen. Nur unvorsichtige Draufgänger drängten sich in den Vordergrund. Im Dritten Reich hieß es: Gut schießt, wer aus dem Hinterhalt schießt – und trifft.

Zweites Kapitel
Bittschriften
    Als Heinrich Koldeweys Neffe Manfred mit acht Jahren seinen Onkel das erste Mal in Fuhlsbüttel hatte besuchen dürfen – nicht in der Villa, sondern innerhalb der Mauern –, bekannte er seine Enttäuschung. Das Arbeitszimmer eines Zuchthausdirektors mußte doch eigentlich in einem luftigen Turm aus Glas liegen, mit Stahlgestängen und elektrischen Glocken ausgestattet, und dem Insassen dieses luftigen Käfigs zu den vier Winden eine Art Allgegenwart und Allwissenheit gewährleisten, die er als Bändiger so gefährlicher Bestien ja aufs allernötigste brauchte. »Machst mich also zu einer Art lieber Gott, Manfred«, hatte Herr Koldewey gescherzt und von dem begabten Jungen, diesem blondgescheitelten Steppke mit den hellen, netten Augen, eine Antwort erhalten, die ihm den Mund offenstehen ließ; was sein langes Gesichtnoch länger machte. »Euer Lieber Gott ist ja man auch bloß ein Zuchthausdirektor. Aber sag’s Papa nicht weiter.« Nun lag seit langen Monaten dieser Manfred in Baskenland begraben, Vorläufer jener zahllosen jungen Deutschen, welche die Epoche des Herrn Hitler nicht überleben sollten; seine Kindertage waren weggewischt, nur daß das Arbeitszimmer des Herrn Koldewey im Seitenflügel der Strafanstalt immer noch das Vogelbauer hieß. Es war nämlich ein würdiger, braungetäfelter Raum, geschmückt vor allem mit einem großen Farbstich unter Glas und Rahmen, die Seeschlacht bei Helgoland darstellend, in welcher um 1400 die hamburgische Flotte Klaus Störtebeker und seine Vitalienbröder schlug. Diese Likedeeler, wie sie sich

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