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Das Beil von Wandsbek

Das Beil von Wandsbek

Titel: Das Beil von Wandsbek Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Arnold Zweig
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in seiner Zelle wiedersah, in dem kahlen und unbarmherzigen Licht einer elektrischen Gefängnisbirne. Sie hatte im Grunde erwartet, den Friedel Timme von einst wiederzusehen, einen straffen, breitschultrigen Jungen von Mittelgröße, blond gescheitelt. Nur die geschürzten Lippen und die unbeugsamen Augen waren die gleichen geblieben. Ansonsten aber hatten die Jahre ihre Arbeit verrichtet ... Gestalt und Gesicht zeigten sich leicht aufgeschwemmt, feister geworden, sein Haar verdünnt, an den Schläfen schon grau gesträhnt. Hatte er sich etwa vom Alkohol unterkriegen lassen? Der Blick einer Hamburger Kassenärztin war für diese Einzelheiten besonders geschult. Solche Beobachtungen gaben ihr die Überlegenheit wieder, die ihr, sie spürte es jetzt, in der Aufregung vor dem Wiedersehen geschwunden war. »Ja, Friedel«, sagte sie, »da wäre ich mal wieder. Bin all die Zeit nicht auf die Idee gekommen, Sie unter den Angeklagten im Reeperbahnprozeß zu vermuten. Unter Reeperbahn stellt sich unsereiner Gartenlokale vor, Bumsmusik, Karussels und grüne Pappeln – eben Sankt Pauli. Daß dabei Jugendfreunde mit hopps gehen könnten, darauf kommt man doch nicht. Ohne die Lene Prestow wäre ich wahrscheinlich heute noch nicht hier. Sie ist die ganze Zeit, läßt sie Ihnen sagen, bei ihrer Aussage geblieben, bei der Wahrheit.« – »Schönen Dank«, nickte er, die Hände auf dem Rücken. »Die haben sie auch hingemacht; ›Dirne Prestow‹ sollte man auf ihr Grab schreiben, Stütze der Gesellschaft, gebrochen im Klassenkampf.« – Käte Neumeier ruckte unwillkürlich ihren Kopf, als wehrte sie ein anschwirrendes Insekt ab: ihren Traum, den sie inzwischen so gut wie vergessen hatte. Daß sie sich auf ähnlichen Gedanken ertappte, wie er sie äußerte, war ihr nicht recht; so fragte sie besorgt: »Haben Sie in all den Jahren nicht zu oft ins Glas geguckt, Friedel?« – »Tja«, antwortete er und hob die Achseln, »wenn einer unentwegt zusieht, wie die Arbeiterschaft sich selbst mordet, und legt sich krumm und lahm, kann aber nichts ausrichten gegen die Bonzen, dann muß er ja wohl«, und er führte eine hohle Hand zum Munde, »von Zeit zu Zeit einen lütten Köhm hinter die Binde gießen. Es hat mir übrigens nichts geschadet; der neue Scharfrichter wird einen recht gesundenDeets abhacken.« – »Ja«, beeilte sie sich, »deswegen bin ich da. Glauben Sie etwa auch, wie Ihr Genosse Mengers, es komme nicht zum äußersten? Haben Sie darum kein Gnadengesuch eingereicht?«
    Wieder saß sie auf einem Schemel, wieder lehnte ein Mann an dem hochgeklappten Bett. »Der arme Thomas«, spottete er, »immer noch ungläubig? Echt S. A. P., Splittergruppe bis zum Tode. Nee, einstige Genossin, ich reiche keine Bittschrift ein, weil ich weiß, das ändert nichts. Ich spüre das Gebiß der Reichswehr um meinen Hals. Die ist eine Bulldogge, die läßt nicht fahren.« – Käte Neumeier mußte sich zusammennehmen, nicht außer sich zu geraten. »Menschenskind«, rief sie und streckte ihm die geballte Faust entgegen, »und darum wollen Sie eine Chance auslassen? Aus purer Rechthaberei und Besserwissen?« – Er sah sie an, senkte die Augen wie prüfend auf den Tisch, begegnete damit wieder ihren Blicken. »Ja«, stimmte er nachdenklich zu, »so hieß unser Laster. Wir überschätzten das Rechthaben, Rechtbehalten. Aber das war mal, ist nicht mehr. Als ich die beiden Schufte auf der Zeugenbank wiedersah, den Pießling und den Bradt, da wußte ich Bescheid. Jetzt wird die alte Rechnung beglichen.« –
    Der Kümmel dachte sie, der Kornus. »Und das glauben Sie wirklich? Den blöden aufgewärmten Kohl?« – »Alte Käte«, erwiderte er, und nun setzte auch er sich auf den Tisch, »sind Sie in der Umgebung von Hamburg herumgekommen? Haben Sie die neuen Flugplätze gesehen, die Exerziergelände, die vielen Kasernen, KZ.s und Arbeitslager? Na, denn fahren Sie mal durch Deutschland und zählen Sie ein bißchen. In Glasmoor saßen ein paar Leute, die gut Bescheid wußten. Die Reichswehr rüstet zur Revanche. Das ist der ganze Sinn der Nazischweinerei, wir haben es immer gesagt. Alle Störungsfaktoren von Anno achtzehn hieß es erst mal ausrotten. Darum fing es mit Liebknecht und Luxemburg an, mit Erzberger und Rathenau. Damit mußten SPD. und Zentrum zerstampft werden, die Juden rausgeschmissen, die Intellektuellen. Das Volk zum Kadavergehorsam zusammengetrampelt – nichts als Heil Krieg, Heil Tod, Heil Deutschlands Größe. Vor mir haben mal paar

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