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Das Beil von Wandsbek

Das Beil von Wandsbek

Titel: Das Beil von Wandsbek Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Arnold Zweig
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indem er sich entschuldigte, der Mutter zu, wer gekommen sei, wer ihr die Ehre tue. Eine Kriegerwitwe, dachte Käte Neumeier, als sie in den schrägen Hauptraum eintrat, der Dank des Vaterlandes ist euch gewiß. Übrigens: von einem Hängeboden zum anderen. Auch bei Koldeweys spielten schräge Wände mit. Ausgebaute Dächer, Licht womöglich von oben.
    Frau Barfey war eine magere, mittelgroße Vierzigerin, graueSträhnen an den Schläfen und helle, aufmerksame Augen in dem sehr faltigen Gesicht. Und dabei sollen wir gleichaltrig sein, fühlte Käte staunend den Unterschied zwischen Ärztin und Wäscherin. Zwei verschiedene Wesen, jedes auf seinem eigenen Stern geboren. Schlecht, verbesserte sie, in seiner eigenen Klasse. Dennoch hat die Art, wie diese Frau Barfey mich aufnimmt, mir gegenübersitzt, abwartet, was ich will oder bringe, etwas Gehaltenes, Nobles, möchte man meinen. Mein weiser Freund Koldewey würde sagen, das sei es, was Nietzsche Rasse nenne. Ja, sagte Käte Neumeier, natürlich komme sie nicht bloß als Nachbarin so um die Ecke. Sie möchte Frau Geesche vielmehr um einen Gefallen bitten. Sie hatte ihr doch einmal einen Briefumschlag gegeben, graues Leinenpapier und mit der Hand adressiert. Erinnerte sie sich vielleicht, was daraus geworden sei? Sie sah, daß Frau Geesche erschrak, erblaßte. Der Staat, in dem man lebte, hatte Polizei und Ermittlungen dermaßen ins Leben der Bürger eingeführt, wie das in Deutschland noch nie der Fall gewesen. Frau Barfey rieb sich nervös die rechte Stirnseite, trocknete die Augen, die offenbar aus Furcht sofort weinten, beteuerte, daß ihr Gedächtnis in den letzten Jahren schrecklich abgenommen, und rief ihren Tom zu Hilfe. Der Junge, sagte sie, habe alles im Kopf, für sie mit. »War’s nicht an eine Waschstelle in Uhlenhorst draußen, zu weit weg für mich, wie sich herausstellte?«
    Tom Barfey rollte herein, sauber gewaschen, gekämmt, gebürstet, ein blütenweißes Hemd unter dem Pullover. Das Schnurrbärtchen gab sonderbarerweise dem Gesicht etwas Kindliches, so verfrüht saß es über den lachenden Lippen. Aber die grauen Augen unter den borstig geschnittenen Haaren redeten dazu eine eigene, sehr eindringliche Sprache. »Tom«, sagte Frau Barfey, »da war doch mal was mit einem Kuvert von Frau Doktor. Erinnerst du dich?« – »An den Reeder Footh«, erwiderte der junge Mann, ohne sich auch nur einen Augenblick zu besinnen. »Richtig«, bestätigte Käte Neumeier, »an H. P. Footh. Aber wer mag das benutzt haben? Ihre Mutter sicher nicht.« – »Ging nicht«, erwiderte Tom, »Harvestehuder Weg ist ein Bezirk für sich. Da kann unsereiner nicht herankommen.« – »Gut«, erwiderte Käte Neumeier voll Spannung, denn jetzt kam’s, »aber was geschah mit demPapier? Denn es ging zur Post, es kam draußen an.« Tom Barfey errötete, dann deutete er mit dem Daumen über seine Schulter. »Stine«, sagte er. »Vielleicht war es unrecht, Frau Doktor. Aber damals kam sie und brachte uns Nieren. Der Umschlag lag hier auf dem Tisch unterm Licht. Hübsche Frauen sind oft neugierig. Der Footh, sagte sie, sei ein Kriegskamerad ihres Albert gewesen, sie hätten mehr als ein Jahr zusammen in Litauen bei der Forstabteilung Dienst gemacht. Albert hatte seine Adresse verloren, jetzt aber könnten ihnen solche Beziehungen sehr viel nützen, wo man gegen die Lebensmittelabteilungen in den Warenhäusern ankämpfen müsse. Da gab ich ihr den Umschlag, wie sie da ging und stand. Vielleicht hätte ich das nicht tun dürfen«, fügte er auf gewisse Weise zerknirscht und dennoch spitzbübisch hinzu, »aber Frau Doktor wissen ja, wie hübsch die Stine ist, wenn sie mit den Augen bitte bitte macht.«
    Käte Neumeier mußte lachen, sich eine Zigarette anzünden, dem Jungen eine anbieten, tief atmen. Albert Teetjen, Schlächtermeister, wiederholte sie lautlos die Aufschrift über dem Laden. Darum kannte sie den unteren Teil dieser Nase, den Schnurrbart, die Mundpartie. Der Mann hatte in ihrem Sprechzimmer gesessen, sie mit treuherzigen Augen angeschaut. Natürlich sieht einer anders drein, wenn er seine Frau zum Arzt begleitet, und anders, wenn er Köpfe abhackt, besonders ums Kinn. Aus dem laufenden Band von Gedanken dieser Art, die die nächsten Augenblicke beherrschten, tauchte noch einer auf: so nahe! hieß er. So nahe hatte der zukünftige Henker auf sein Schicksal gewartet. Einen so kurzen Weg war der Briefumschlag gegangen, dieser Bumerang, der vier Menschen töten sollte, bevor

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