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Das Beil von Wandsbek

Das Beil von Wandsbek

Titel: Das Beil von Wandsbek Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Arnold Zweig
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Lippen. »Mit Großvaters Binderbarte«, beruhigte er sie. »Dazu lag sie so lange unbenutzt auf dem Schrank. Sieht fast genau aus wie ein Richtbeil, nur einen längeren Stiel habe ich dranmachen lassen. Tadelloser Stahl«, fügte er hinzu, »Sheffieldware, was gut ist, kommt aus England.«
    Als Stine sich aufs Bett setzte, dann rasch umlegte, fürchtete sie einer Ohnmachtswelle zu erliegen. Das Zimmer drehte sich rechts herum wie ein Karussell; an einen so dummen Zustand konnte sie sich kaum erinnern. In ihrem Kopf lief alles durcheinander. Die Großmutter, die Rabbinersfrau, der Sonntag, der Samstag, die Bergpredigt am See Gethsemane, oder hieß der nicht Genezareth? »Wer Menschenblut vergießt, dessen Blut soll durch Menschen vergossen werden«, sah sie mit den Druckbuchstaben ihrerLutherbibel, »denn ich bin der Herr«; gedruckt von der englischen Bibelgesellschaft. Alles was gut ist, kommt aus England, hatte Albert gesagt. Hielt er nicht einen Kümmel im Kleiderschrank? Hier mußte ein Schnaps her und dann aufs Postamt. Mitten am Wochentag auf dem Bett zu liegen wie eine Senatorsdame – wäre ja noch schöner gewesen! Ließ sie sich von sich nicht gefallen. Binde um und auf die Beine! Es war schönes Wetter, warmer, trockener Oktober, sie konnte recht gut ihre neuen, braunen Halbschuhe anziehen, die Sportschuhe aus dem Ausverkauf des Juden Lehmann. War eigentlich doch unverständlich, ein so gut gehendes Geschäft zu verkaufen, in so günstiger Lage, Fischerstraße Ecke Wandsbeker Chaussee. Die wollten auswandern, sagten die Leute. Na, jeder nach seinem Gusto.
    Als sie durch den Laden kam, blasser als vorhin, und die Augen dunkel umrandet, aber schmuck und schlank in ihrem grüngrauen Straßenmantel, den rotgoldenen Haarknoten unter einem kleinen Hut und die Handtasche mit dem Blutgeld – komisch, daß ihr dieser Ausdruck kam! – unter den Arm gepreßt, schmunzelte Albert zu ihr hinüber. »So ’ne brave Stine und so ’ne schmucke dazu, sollte mal einer in ganz Hamburg auftreiben! – Für Sonntag brauchst du nichts vorzurüsten«, sagte er, »wenn’s Wetter so bleibt, machen wir nach Stellingen, zu Hagenbecks wilden Tieren.« – Das war ein Wunsch, den Stine längst gehegt; seit Kinderzeiten war sie nicht mehr draußen gewesen in dem musterhaften Zoo, in dem die Löwen und Elefanten herumliefen, fast wie in der freien Natur, die Affen einen unglaublichen Unsinn trieben und die Vögel wie die Wilden kreischten. »Au fein«, rief sie aufleuchtend. »Aber ob wir nicht doch zu Hause essen, warmes Abendbrot und bloß Wurstbrote mitnehmen, das wollen wir uns noch überlegen.« – »Sparsame Hausfrau«, sagte er beifällig, »weiß keiner, wie’s noch kommt, und die kluge Frau baut vor.« –

Zweites Kapitel
Stellingen
    Gedenkt eine Ärztin eine Waschfrau zu besuchen, und zwar ohne Verabredung, aus dem Stegreif sozusagen, so wählt sie dazu einen Sonntagvormittag. Darüber braucht man nicht viel Worte zu machen. Beides sind arbeitende Frauen, deren Zeit unter der Woche von den Bedürfnissen der Materie eingeteilt wird, mit der sie zu tun haben. Ob nun Wäsche wieder instand gesetzt werden soll, der täglichen Abnutzung zu widerstehen, oder die Lebenskraft menschlicher Wesen, von dem Unterschied zwischen diesen beiden Tätigkeiten wollen wir hier kein Aufhebens machen, obwohl die eine am untersten Fuß der Gesellschaftspyramide angesiedelt ist, die andere nah ihrer Spitze, umgoldet vom andächtigen Glauben zahlloser Menschen. Sonntagvormittag haben sie beide Muße, sich selbst zu gehören; die Gesetzgebung auf dem Sinai hat dafür gesorgt.
    Käte Neumeier schritt auf ihre energische Weise an diesem Sonntag gegen halb elf die lange Wandsbeker Chaussee hinab, eine ziemlich häßliche Straße, wenn man die Häuser und Fassaden in Betracht zog, die in Hamburgs Wachstumsjahren dort entstanden waren. Ursprünglich mußte sie, breit und gerade, eine schöne Landstraße gewesen sein – aber davon war heute nichts zu spüren. Die ganze Gegend, dachte Käte Neumeier, Fontane würde sagen, sie sei heruntergekommen. Zu Zeiten des Matthias Claudius, des Lessing und des strengen Diktators Klopstock machte man hier eine Landpartie vom Alsterbecken nach dem Stadtpark Wandsbek oder umgekehrt, in Schnallenschuhen, weißen Strümpfen, Kniehosen und warmen Radmänteln, wenn ein Wetterchen wie heute lachte. Aber eigentlich sollte ich diese beiden Epochen gar nicht vergleichen. Diese Leute trugen nicht nur andere

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