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Das Beil von Wandsbek

Das Beil von Wandsbek

Titel: Das Beil von Wandsbek Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Arnold Zweig
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Stühlchen, eine Waagschale im Schoß, die andere mit einem alten Wollstrumpf polierend, einen leisen, spitzbübischen Vorbehalt im Gemüte, ein Geheimnis mit einem anderen vergelten zu können; schon vorgestern wäre ja ihr »Tag« gewesen. Es hätte sich ja sehr gut gefügt, wenn jetzt, wo ihre Verhältnisse sich besserten und ihr Lebensschifflein kein »leckes Boot« mehr zu bleiben schien, sich ein kleiner, blondköpfiger Teetjen angemeldet hätte, Männlein oder Weiblein, einerlei. Dem Albert brauchte sie das ja nicht sofortauf die Nase zu binden, und jetzt erst recht, dem Geheimniskrämer!
    »Wenn du mit Vaters Waage fertig bist, Stineken, tu den Zaster in deine Tasche, wie wir bei den Preußen sagten, wenn der Zahlmeister, gleich Scheinwerfer, alle zehn Tage in Tätigkeit trat. Bis zum Schalter wirst du es ja bringen, ohne daß dir einer die Riemen durchschneidet. Dazu war’s denn doch zu schwer verdientes Geld.« – Stine fühlte genau, jetzt hätte sie fragen sollen: willst du mir nicht endlich sagen, wie du’s verdient hast? Aber sie tat dem Albert den Gefallen nicht und entgegnete vielmehr: »Wer die klauen wollte, der fiele schön herein. Hab doch gleich eine Liste angelegt mit allen Nummern. Hat mir Frau Plaut mal beigebracht.« – Albert Teetjen schaute von dem rotblassen Teig auf, den er knetete, und schüttelte staunend den Kopf. Er hätte doch wissen müssen, daß seine Stine es faustdick hinter den kleinen, flach anliegenden Ohren hatte. »Kriegt man sie da ersetzt, wenn sie einem geklaut werden?« fragte er nach einer kleinen Pause. – »Wer weiß«, entgegnete sie, »irgendeinen Sinn muß es doch haben, sonst würden es die Juden doch nicht machen. Die wissen Bescheid.« – »Ja«, lächelte Albert, »aber wir auch. Haben hinter ihren Schlichen herklabüsert und bezahlen sie mit ihrer eigenen Münze. Und wie ich dazu gekommen bin, willst du nicht wissen?« – »Wer mir was Verbotenes sagen will, muß selber anfangen.« – »Das muß so sein«, bestätigte er. »Verboten war’s allerdings nicht, sondern im Gegenteil, was mir der Kamerad Footh verschafft hat. Sollte den Magdeburger Scharfrichter vertreten im Reeperbahnprozeß. Und das hab’ ich denn getan.« – Stine saß in ihrem Stuhl, hörte auf, das blanke Messing zu reiben, ließ ihre Blicke an den seinen haften. »Du hast ...«, fragte sie nach zwei Atemzügen Stille. »Das Urteil ausgeführt, vier Verbrecher ins Jenseits befördert.« – Stine, regungslos, ließ die Schale fallen; mit metallischem Ton fügte sie sich genau in die erste. Ihr Mund stand leicht offen, ihre Augen irrten zur Decke empor, hafteten dann wieder auf seinen Lippen. »Ist wahr?« fragte sie tonlos. – »Meister Dencke blieb krank«, bekräftigte er, »und der Führer will nicht eher nach Hamburg kommen. Die Elbhochbrücke, weißt’s doch vom Radio, wie die ihn zwickt. Da mußte eben Aushilferan. Diesmal unsereiner.« – Stine schüttelte den Kopf. »Wenn das bloß gut ausgeht«, hauchte sie halblaut. – »Ja«, bestätigte er, »die Leute sind blöd«, froh, daß sie es so vernünftig aufnahm, »rumschwatzen darf’s sich nicht. Aber erkennen konnte mich keiner. Ich hatt’ eine Maske vor der Nase, wie das Rindvieh, in früheren Zeiten, als die Betäubungszange noch nicht erfunden war. Bloß daß diesmal nicht der Ochse die Maske trug.« – »Und dabei hattest du den Frack an«, lallte sie, offenbar wollte sich ihr Unterkiefer dem Sprechen nicht recht fügen. – Er nickte. »Ist ja ein komischer Anzug, solch ein Schniepel mit ’ner weißen Binde. Aber praktisch ist er für so was. Vorne alles weggeschnitten. Was hinten hängt, kann nicht behindern.« – Stine hielt die Hände auf den Knien. Sie fühlte sich schwach. Viermal Kopf ab, ihr Albert. Was die Zeit alles aus den Menschen machte! Und dann spürte sie, sie würde ins Schlafzimmer müssen, die Wäsche wechseln. Ihr »Tag« war also doch eingetreten. Erst wollte sie noch Vaters Waage auf dem Ladentisch zusammensetzen. Aber die Schalen waren ihr plötzlich zu schwer. »Wenn das bloß gut ausgeht«, wiederholte sie, breitbeinig der Tür zusteuernd. – »Müssen eben den Mund halten«, erwiderte er gutgelaunt, froh, daß alles so leicht abgegangen war, »und eine tüchtige Ausrede finden. Lotterie oder Erbschaft, wenn einer danach fragt.« – Im Türrahmen, zwischen den Pfosten, drehte sie sich noch einmal zurück: »Mit welchem Beil?« Und die Silben wollten ihr seltsamerweise nur schwer von den

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