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Das Beil von Wandsbek

Das Beil von Wandsbek

Titel: Das Beil von Wandsbek Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Arnold Zweig
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Spazierstöcke, Frisuren und Tabakpfeifen als wir und führten andere Hunderassen an der Leine, in ihren Köpfen regierten auch ganz andere Gedanken. Die Einheit des Menschengeschlechts, Humanität, Aufklärung, Philanthropie oder Menschenliebe und der Glaube an die Macht des Verstandes. Die große Sonne derVernunft stand über ihren gepuderten Locken, und mit Rousseau schworen sie auf die Güte des Menschen, der nicht bereit sei, vier seiner Brüder den Kopf abzuhacken, um sein Einkommen zu verbessern. Und wenn sie Organisationen angehörten, sie hießen die »Loge zur flammenden Morgenröte« oder »Zum großen Orient«, und statt auf den Weltbaumeister Adolf Hitler gründeten sie sich auf die Baumeister des salomonischen Tempels und ähnliche nebelhafte Gestalten. Bloß Uniformen sah man damals in Hamburg nicht so viele wie heute, und wie ich dazu komme, meinen Weg hier gewissermaßen im Jahre 1737 zurückzulegen, statt 1937, das sag mir mal einer. Was die Damaligen gesagt hätten, wenn eine solche Elektrische hinter ihnen her gerast wäre, um sie spielend zu überholen, donnernd und knisternd zwischen den bewohnten Häusern! Was werden die schon von Elektrizität gewußt haben? Vielleicht hatte Galvani gerade Froschschenkel zum Zucken gebracht und Volta seine Säule erfunden, und die Leydener Flaschen wird’s wohl auch schon gegeben haben. Und Herr Hufeland verstand was von der Gesundheit und Hahnemann was von Homöopathie, und noch kein Mensch war drauf verfallen, das Fieber eines Kranken mit einem Thermometer zu messen, das man ihm unter die Achsel steckte, in den Mund oder sonstwohin. Hätte ich lieber damals gelebt? Entschieden nicht. Trotzdem mir im achtzehnten Jahrhundert keine solche Aufgabe geblüht hätte. Damals wäre keiner auf einen derartigen Prozeß hin enthauptet worden. So? fragte sie, plötzlich stehen bleibend, und was war es mit den lettres de cachet und mit dem Dichter Schubart, der auf dem Hohenasperg verkam? Und warum riß Schiller von Stuttgart aus, und was war es mit Lessing, der Preußen ein Zuchthaus genannt hat, und Berlin eine Galeere? Fehlten damals etwa Spießrutenlaufen und eisige Duschen für Geisteskranke? Immer langsam mit die jungen Pferde, pflegte mein Vater zu sagen, wenn ich ihm den Kopf vollschwärmte von Fortschritt und Heilkunst. Und da hätten wir ja die Wagnerstraße. Möchte wissen, ob sie nach Richard Wagner heißt – oder vielleicht nach Herrn Adolf Wagner, nicht dem Nationalökonomen, bei dem mein Vater hörte, sondern dem großen Adolf Wagner, Gauleiter von Oberbayern, der seinen verratsverdächtigenSA.-Führern die Köpfe mit großen Maßkrügen einschlagen ließ, wie aus München geflüstert wird ... Nr. 17, Albert Teetjen, Schlächtermeister. Ach ja, die Stine Teetjen, Kartothek Nummer soundsoviel, neigt zu Aborten, letzter vor vierzehn Tagen.
    Den Weg zu Barfeys, über den Hof und die Treppen des Seitenflügels hinauf, hatte Käte Neumeier das letzte Mal vor drei Jahren erstiegen, als Tom die Schule verlassen. Sie war also sehr erstaunt, als sie in dem kleinen Vorraum, den man vom Dach aus betrat, einen kurzgewachsenen Mann auf einem Schemel sitzen fand, der sich rasierte, und einen Schnurrbart besaß, an dem er offenbar eben mit einer Nähschere herumgeschnipselt hatte. Seine verkümmerten Beine untergeschlagen und das Gesicht mit einem Rasierpinsel eingeseift, dem der Stiel fehlte, saß Tom Barfey in einem Unterhemd und ärmellosem Pullover neben der geöffneten Tür. Sein Spiegel wies die unregelmäßige Form auf, die eine handgroße Glasscherbe gelegentlich annimmt; er war ihm von der hübschen Olga geschenkt worden, als unten bei Lawerentzens ein Tischspiegel zerbrach, weil Postsekretär Lawerentz ihn mit einer heftigen Armbewegung auf die Dielen fegte – vor Freude, als 1933 sein jüdischer Vorgesetzter, Postinspektor Bandmann, in Pension geschickt wurde, für einen »Arier« Raum schaffend, Aufstieg, Einkommen. – »Menschenskind, sind Sie es? Wirklich?« rief Käte Neumeier, als sie den vertieft und eifrig Schabenden erkannte, noch außerhalb der Wohnung stehend, auf dem mit Zink gedeckten, mit einer kleinen Mauer gesicherten Teil der Dachfläche, die an das Hauptgebäude mit seinen schrägen Ziegelwänden anstieß. Tom, der sich das Licht von der offenen Tür herholte, ließ das Rasiermesser sinken, erkannte die Besucherin, überwand sofort den Mißmut, den jede Störung in einem beweglichen und ausdrucksvollen Gesicht aufflammen läßt, und rief,

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