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Das Beil von Wandsbek

Das Beil von Wandsbek

Titel: Das Beil von Wandsbek Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Arnold Zweig
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Menschenarme«, lächelte Tom zurück, erwachsen und bewundernd – ganz wie ein gesunder Liebhaber, dachte Annette amüsiert. Käte Neumeier aber, während sie Tom die Hand reichte, zog ihn gleichsam etwas näher an sich heran und verlangte: »Den Teetjen vergessen Sie bis auf weiteres, Tom. Beweisen Sie, daß Sie schweigen können.« – »Für wie lange?« – »Bis ich zu Ihnen heraufkomme oder eine Postkarte schreibe, daß meine Bedenken nun beseitigt seien. Hinter dem Manne steht die SS., und der Sturm Preester beherrscht die ganze Gegend.« – »Muß nach Hause«, entschuldigte sich Annette und gab Gas. Käte Neumeier trat zurück: »Empfiehl mich bitte dem kühnen Vermittler.«
    »Danke, abwesend, in Berlin.« Aber während das Adlerchen an einem mit Blumen dekorierten Schaufenster vorüber in den Hauseingang von Wagnerstraße 17 glitt und Tom Barfey, seine »Karre«vorauswerfend, nach vielen Danksagungen dem Notsitz entkletterte, blickten beide, Annette und der Junge, mit gleicher Scheu, ja leichtem Grausen, auf die harmlose Hintertür, deren Glasscheiben eine gelbgeblümte grüne Gardine verhüllte und auf welcher ein Messingschild, blank geputzt, den Namen A. Teetjen verkündete. Gegen bar, dachten beide, wie Kälber oder Hämmel.
    Ja, Teetjens befanden sich schon auf dem Rückwege. Albert hatte ihre neuen Fahrräder, die blitzblanken, mit prachtvollen Buna-Gummireifen ausgestatteten, schon kurz nach neun aus der Remise geholt, um Luft in die Schläuche zu pumpen, indes Stine einen Sonntagskaffee braute, dessen Duft die geschiedene Frau Blohm, die über Teetjens wohnte, zum Schnuppern brachte, als sie sich ihrem Küchenfenster, noch im Nachthemd, näherte, um Morgenluft hereinzulassen. »Bei den Teetjens geht’s hoch her«, meldete sie ihrem »Schlafburschen«, wie die Leute ihren Liebhaber nannten, den Reklamezeichner Oskar Kramer, der unter anderem die Margarinefabriken »Schneehuhn« allwöchentlich mit einem Werbebildchen versah. Erst gestern abend hatte er dort seinen Einfluß geltend gemacht. Die Packerin Agnes Timme, eine besonders brauchbare Angestellte, hatte entlassen werden sollen, als sich das Todesurteil bestätigte, das über den Hochverräter Friedrich Timme, ihren Mann, den Stab brach; zudem hatte sie am Hinrichtungstage selber im Betrieb gefehlt. Daß das Dritte Reich kraftvoll und selbstsicher genug dastand, um sich vor der Anwesenheit dieser Fliege nicht zu fürchten, hatte Frau Timmes Stellung gerettet. Herr Kramer wollte eine Zeichnung aus dieser Sache machen. »Wirst noch in den Verdacht kommen, selber ein Kommunist zu sein«, hatte Frau Blohm gestern nacht geseufzt und ihn an ihre Brust gezogen; darauf bezog sich die Anrede, mit der sie ihn jetzt aufforderte aufzustehen und mitzuschnuppern: »Riech mal bloß, du kleiner Kommunist, reine Bohne.« – »Mit’n bißchen Feigenkaffee«, dämpfte er ihren Enthusiasmus. »Wer lang hat, läßt lang hängen, du zum Beispiel deine Zöpfe«, und er zog die Freundin und Wirtin wieder ins Bett.
    Sonntagmorgen ... Es hatte nachts ausgiebig geregnet. Die Straßen lagen wie gewaschen unter den Rädern. Albert und Stinestrahlten vor Vergnügen, als wäre sie noch Dienstmädchen und er der Sohn des Schlächtermeisters, nicht der Schlächtermeister selbst. Wird ökonomischer Druck von Menschen genommen, so wirkt sich das befreite Lebensgefühl gleichsam als Verjüngung aus; die Betroffenen merken erst an der Erleichterung, wie schwer sie an den unsichtbaren Lasten des Lebens geschleppt haben. Albert trug seine Uniform, den Ehrenrock der schwarzen Garde, mit der Sturmbezeichnung am Ärmel, stolz durch die Sperre des Tierparks, und Stine lächelte den Beamten zu, für seine Forschheit gleichsam verschämt und glücklich um Entschuldigung bittend. Und dann trug sie ihre neuen, braunen Schuhe zum warmgrünen Mantelkleid aus lodenähnlichem Gewebe sorgsam und vergnügt über die Parkwege und breiten Hauptstraßen des Tierparadieses, und ihre Seele ging auf und strahlte aus ihren Augen. Sie, Stine, stellte recht eigentlich das Ur- und Vorbild einer Besucherschaft dar, für die Tiergärten überhaupt geschaffen wurden. Die erstaunliche Gestalt einer Giraffe, die mit langem Hals Heu aus dem zurechtgesägten Wipfel eines künstlich errichteten Baumes pflückte, entlockte ihr den Ruf ebenso warmer Bewunderung wie die kleinen Lemminge, die braun- und weißgefleckt ihre künstlichen Nester zwischen den Platten einer Polarlandschaft bevölkerten. Daß sie dabei

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