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Das Beil von Wandsbek

Das Beil von Wandsbek

Titel: Das Beil von Wandsbek Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Arnold Zweig
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griff Käte Neumeier der Freundin nach dem Arm. – »Noch ich, daß dir so viel daran lag, den Mann zu ermitteln.« – »So lebt man nebeneinander her. Der Mensch ist undurchsichtig.« –
    »Dort oben steht Stine«, rief der kleine Mann und deutete zu dem Löwenfelsen empor, der sich drüben erhob, jenseits der Wege und Rasenflächen, auftauchend aus den kahlen Bäumen. »Und der SS. daneben, das ist ja wohl Albert.« Käte Neumeier hob das zusammengerollte Heft an die Augen, das sie beim Betreten des Tierparks erstanden, um es Tom zu schenken. Der Kopf des Mannes war zu klein, aber eben legte sich ein Sonnenstrahl über das Gesicht; im runden Ausschnitt des Rohres vermochte sie die Mundpartie genau zu identifizieren. »Er ist es«,sagte sie, »der Mann mit der Maske.« Verdeckt von halbbelaubten Büschen, die den Rand des Weges hoch umstanden, schaute auch Annette durch das papierne Rohr. »Kein Zweifel«, sagte sie. »Es gibt nur einen Albert Teetjen. Und was folgt daraus für dich?« – »Nichts – für heute«, erwiderte Käte Neumeier. »Jedenfalls bezeugst du mir, ich habe nichts ausgeplaudert, nichts verraten.« Und dann schauten sie einander erschreckt an. Ein seltsamer und grimmiger Laut ertönte hinter ihnen. Tom Barfey knirschte mit den Zähnen. Ein Geräusch, das Annette noch nie gehört zu haben vermeinte. »Der Albert«, sagte er vor sich hin.
    Die Heimfahrt im Wagen verlief schweigsam. Hamburg mit seinen sorgfältig gekleideten Menschen, den Parteifahnen – ihr Rot knallte in der bleichen Sonntagssonne, das Hakenkreuz in ihr erinnerte an ein fremdartiges Insekt – Hamburg grenzte auf merkwürdige Weise an Stellingen oder hob sich von seiner stillen Parklandschaft gespenstisch ab. Käte Neumeier kam es betriebsam vor, gefährlich, unheildrohend, trotz seiner Schläfrigkeit oder gerade wegen ihr ... Wo wohnten die Raubtiere und wo die beseelten Wesen? Die nach innen gekehrten Augen der Affen, die drolligen Bewegungen der Pinguine, der sanfte Glanz in den Blicken der Antilopen hob sich vorteilhaft ab von all den Albert Teetjens, die diese sonntägliche Spazierstraße bevölkerten. Sie erinnerte sich an das Gefühl, mit dem sie vor ein paar Wochen Herrn Lintze in seinem Wagen hatte weggleiten sehen, und schüttelte wiederum den Kopf. Sie erblickte sich dabei in dem kleinen Spiegel, der dem Fahrer dazu dient, die Welt hinter seinem Rücken nicht aus den Augen zu verlieren, und erschrak ein bißchen. Wurde sie schon ein altes Weib? Schrullenhaft und unfähig, sich zu kontrollieren, oder hatte sie sich auf gewisse Weise den Insassen der Anstalt zuzurechnen, an deren langen Baulichkeiten sie eben vorüberschossen, der Irrenanstalt Friedrichsberg? Friedel Timme und der schuldlose und hilfreiche Mengers geköpft, ein Schlächter, Albert Teetjen, zum Henker avanciert, eine prächtige Person wie Annette durch Beihilfe in die Angelegenheit verstrickt, Käte Neumeier aber zu feige, um ein Motorrad und fünf Hundertmarkscheine an die richtigen Stellen zu leiten, die allein wirksamen. »Ein Dutzend fremder Staaten lauschenin Nürnberg«, las man in drohendem Fettdruck auf der Anschlagssäule, als Annette ein paar Sekunden bremsen mußte, um Spaziergänger, alte Damen, Kinder, die Straße queren zu lassen, und kleiner erklärte der Anschlag des Fremdenblattes weiter: »... dem Propagandaminister bei seiner Kriegserklärung gegen die Komintern und die plutokratischen Judenknechte.« In Käte Neumeiers von Karl August Lintze geschultem Verstande teilte sich dieser Nachsatz dialektisch auf: entweder Rußland oder England, Amerika. Oder wollen wir etwa mit allen dreien zugleich anbinden? Städtische Irrenanstalt Friedrichsberg, Diagnose Paranoia, Größenwahn ... Als sie vor Käte Neumeiers Wohnung bremsten, bedankte sich Käte Neumeier mit einem Kuß auf Annettes Wange: »Daß du so schweigen kannst, Annette, dafür gebührt dir noch einer«, und küßte sie leicht auf den Mund. »Können wir«, lächelte Annette. »Die gegenteilige Nachrede erfanden die Männer. Der Mann ist geneigt, doziert Papa, den Nachbarn für alles das zur Rede zu stellen, was er in der eigenen Seele aufdecken könnte. Die eigene Schwatzhaftigkeit also beim Weibe.« – »Hat er das von Nietzsche?« fragte Käte Neumeier aussteigend. »Zuverlässig«, erwiderte Annette, wandte sich zu Tom Barfey herum und sagte munter: »Und jetzt bringe ich Sie noch schnell um die Ecke. Geht doch schneller als mit Ihrer Karre.« – »Pferdekräfte gegen

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