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Das Beil von Wandsbek

Das Beil von Wandsbek

Titel: Das Beil von Wandsbek Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Arnold Zweig
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hängen ließen, unter ungeheuren ausgespannten Stahlnetzen, die abgesägte Bäume überspannten. Es war ein schöner Oktobertag, der Wind roch schon nach Schnee, in Rußland sollte schon viel davon gefallen sein, hatte die Zeitung morgens berichtet. Man würde bald im Gasthaus einkehren, die belegten Schmalzbrote von den Rädern holen, warmen Kaffee dazu trinken und Marschmusik aus dem Lautsprecher hören, denn es ging auf eins, und man mußte sich noch die Löwen besehen, am besten von oben, von einer Art Terrasse, in welcher sich die schützende Umfassungsmauer versteckte.
    Der Blick Albert Teetjens, als er dann da oben stand und kriegerisch den Park überschaute, glitt auch über zwei Damen hinweg, die etwas Weißes, Gerolltes in der Hand hielten. Er kannte sie nicht, beachtete sie nicht weiter, und die niedrige Gestalt Tom Barfeys, die ihm sicher aufgefallen wäre, blieb von den Büschen verborgen, den grüngelbbefleckten, fast winterharten, die den Weg an jener Stelle besonders hoch einfaßten. Und seine Stine, die sich eher darüber gewundert hätte und gefreut, starrtevertieft der Löwin in die Augen, soweit sie unter den überhängenden Felsen ihrer habhaft werden konnte. Das waren nun Raubtiere. Die lebten vom Blut. Blut war billig, meist wurde es weggegossen. Ihr fröstelte – man schrieb Oktober.

Drittes Kapitel
Die Wünschelrute
    Als das Ehepaar Teetjen in den Saal der Naturheilkundigen Nationalsozialistischen Deutschen Volksgesellschaft trat (Nasvog, wie sie in einer etwas leichthin erfundenen Abkürzung hieß, und einen solchen Saal zu besitzen hatte sie vor der »Machtergreifung« nie geträumt), glaubte es zunächst, fehl am Orte zu sein – so viele Uniformen der Reichswehr und der Marine mischten sich unter die der Partei und ihrer Kampfgruppen. Was, zum Donner, sollte das Erdinnere mit dem Militär zu tun haben, dachte Albert und wählte für sich und Stine zwei Plätze recht weit hinten am Mittelgang in einer noch leeren Stuhlreihe, um schnell entweichen zu können, falls sich ein Irrtum herausstellen sollte; denn beide Teetjens liebten Aufsehen nicht, weder bei sich, noch bei anderen. Aber bald ergab sich, daß kein Irrtum vorlag und daß Albert nur die Ankündigung unvollständig gelesen hatte, die unter Vereinsanzeigen in den »Nachrichten« gestanden. Der Vorsitzende, ein Herr mit blondem Vollbart und goldener Brille, der sich früher als Masseur und Magnetiseur bei den feinen Leuten sein Brot schwer verdient hatte, bekleidete jetzt eine Dozentenschaft an der umgestalteten medizinischen Abteilung der Hamburger Universität; er begrüßte die Gäste, den Vortragenden, Dr. Laberdan, besonders aber Herrn Oberstleutnant Lintze, vom Regimentsstab der Sechsundsiebziger, der in seinen einleitenden Worten auf den Zweck des heutigen Abends hinweisen werde. Darauf erschien am Vortragstisch ein Offizier mit kleinem Mund, blondem Schnurrbärtchen und gelichtetem, sorgfältig gescheiteltem Haar und legte dar, daß der Nationalsozialismus auch eine neue Ära im Zusammengehen von Wehrwissenschaft und vorurteilsloser Naturkunde eingeleitet habe. (Eine Dame mit grauem Kurzhaar,in der fünften oder sechsten Stuhlreihe, eine Ärztin, die mit Herrn Lintze gekommen war, verbarg ein Lächeln in ihrem aufmerksam lauschenden Gesicht: »Vorurteilslose«, übersetzte sie, »kritiklose Naturkunde«. Übrigens hätte sie nie vermutet, daß ein so gewandter Plauderer und Debatter von der Gegenwart eines vollen Saales dermaßen behindert und im Sprechen gehemmt sein könnte. Ein echter Hamburger liebte es nicht, angeschaut zu werden, sich zu produzieren.) Der moderne Krieg, den die Genialität und Friedensliebe Adolf Hitlers seinem Volke und der zivilisierten Welt so lange als möglich fernhalten würde – das war ja weltbekannt und gerade erst gestern wieder beim Start des Winterhilfswerks im Berliner Sportpalast bekräftigt worden – dieser moderne Krieg verlangte den Einsatz aller Kräfte und aller Begabungen, auch derjenigen, die sich selber noch nicht entdeckt hatten; der Deutsche war eben seinem Wesen nach bescheiden. Nun hatten die Erfahrungen in Spanien und Palästina dargelegt, daß sowohl zu Lande wie zu Wasser der Minensperre das nächste Mal eine große Bedeutung zukommen werde. Die Herren von der Marine hatten damit ja ihre Erfahrungen seit Generationen. Heute nun durfte man, – oh gute neue Zeit, öffentlich dafür werben, daß sich möglichst viele deutsche Männer zu Rutengängern ausbilden ließen,

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