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Das Beil von Wandsbek

Das Beil von Wandsbek

Titel: Das Beil von Wandsbek Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Arnold Zweig
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besonders solche, die den Jahrgängen nach schon zu Landwehr und Landsturm rechneten. Die Wünschelrute würde dieses Mal nicht nur Wasserläufe aufzuspüren haben, wenn Deutschland seine Kolonien wiederzugewinnen suchen würde, sie würde auch unter Schnee und Sand und im Erdboden jede Art Sprengladungen aufzufinden haben, falls unsere motorisierten Regimenter, unsere Raupenschlepper und Tanks abseits der Straßensysteme vorzugehen hätten. Deutschland mußte mit skrupellosen, wissenschaftlich geschulten Gegnern rechnen, das wußte jedes Kind; der Neid der Völker, welche keinen Friedrich den Großen, keinen Bismarck, Ludendorff und vor allem keinen Adolf Hitler hervorzubringen imstande waren, dieser Neid schlief nicht und bediente sich gewiß aller modernen Waffen und Fallen. Wenn also der Herr Vortragende nachher zur Prüfung solcher erdmagnetischer Fähigkeiten ermuntern würde, sollten sich die Herren aus dem Publikum des Satzes erinnern: »Doppelt gebe, wer schnellgebe« und »Ans Vaterland, ans teure, schließ dich an, hier sind die starken Wurzeln deiner Kraft«.
    Albert Teetjen fühlte sich durch diese Worte merkwürdig angerührt. Das wäre ein besserer Job gewesen als das Zusammensuchen messingner Kartuschen und Schmierbüchsen, damals in den litauischen Wäldern, mit dem Footh und den Rußkis. Im Boden vergrabene Schätze zu finden, das stand schon im Märchen und war Zauberei; jetzt aber hier in einem hübschen Saale mit elektrischen Birnen, bequemen Stuhlreihen, einem Vortragspult mit Stehlampe und einem Glas Wasser, legte ein Stabsoffizier dar, daß von nun an zur Landesverteidigung auch die Erforschung des Bodens gehören werde, in dem Landminen und andere Sprengkörper verborgen sein würden. Da konnte ein Kerl zeigen, daß er Mumm in den Knochen hatte! Womöglich im feindlichen Feuer oder nachts, wenn jederzeit Leuchtraketen hochgehen konnten, mit keiner andern Waffe in den Händen als solch komischer Gabel, wie sie der Dr. Laberdan jetzt vorzeigte ... Und Albert machte sich wieder ans Zuhören. Nur noch einen Gedanken mußte er zu Ende führen: mit solcher Wünschelrute ließen sich viel mehr Landesfeinde und Bolschewiken unschädlich machen als mit dem Beil.
    Dr. Laberdan brauchte nicht erst die neugierigen Augen zum Beispiel der Kollegin Neumeier auf sich zu spüren, um befangen zu werden. Er war es von vornherein. Käte Neumeier verbarg in der Helle des Saales ein Lächeln, als sie in den Händen des Kollegen ein sorgfältig auf mittelgroße Blätter – Heftseiten – geschriebenes Manuskript gewahrte, mit welchem er sich von seinem Sitz am Vorstandstisch erhob, um das Pult des Vortragenden zu besteigen. Die Gabe freier Rede ist unseren Volksgenossen nicht gegeben. Entweder lernen sie auswendig oder sie verschanzen sich hinter Papier, wie die Spartakisten, als sie anno 19 oder 20 den »Vorwärts« und das »Berliner Tageblatt« besetzt hatten. Laberdan verschanzte sich also hinter Papier. Die dritte Möglichkeit, nämlich schlicht und recht vorzutragen, was einem im Kopf haften geblieben ist und also über die Lippen will, fehlt unserem Durchschnitt. Dazu gehört bei uns schon Begabung, innerer Beruf. Darum waren ja unser Hitler und der Dr. Goebbels so verwirrendePhänomene. Daß Menschen imstande waren, Stunden hintereinander Wortgebilde zu produzieren, konnte das mit rechten Dingen zugehen? Hätte nicht in früheren Zeiten Gott seinen Finger oder der Teufel seine Klaue im Spiel haben müssen? Im achtzehnten Jahrhundert, als unser Claudius unter den Wandsbeker Bäumen lustwandelte, Herr Klopstock seine Oden sang und Lessing unser Publikum mit der kritischen Peitsche in die rechte dramatische Gangart zwang, damals hätte man von Genie gesprochen. Heute heißt es: der Geist der nordischen Rasse, das alleinseligmachende Germanentum ... Ja, es war scheußlich, aber wenn einer vom Papier ablas und den inneren Strom abdämmte, der einen Redner und sein Publikum verbindet und befruchtet, war es Käte Neumeier unmöglich, richtig zuzuhören. Dann liefen ihre Gedanken die eigenen Wege auf Teufel komm raus oder helf er sich, wie er kann.
    Hätte jemand von Albert Teetjen ausgesagt, er sei bei dem Vortrag Dr. Laberdans ganz Ohr gewesen, im wörtlichen Sinne, er hätte das Rechte getroffen. Ein kleiner Albert hing, so hätte es ein Karikaturist dargestellt, an einer riesigen Ohrmuschel, die er im Verlaufe der nächsten Minuten noch dadurch vergrößerte, daß er auf unauffällige Art seine Hand hinter

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