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Das Beil von Wandsbek

Das Beil von Wandsbek

Titel: Das Beil von Wandsbek Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Arnold Zweig
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dieselbe klemmte, die Entfernung zwischen ihm und dem Redner zu überwinden. Die moderne Seelenkunde, welche die Menschen in Typen einteilt, je nach ihrem Verhalten Eindrücken gegenüber, hätte Albert Teetjen einen akustischen Typus genannt, auf den Geräusche, Klangfolgen, Wortreihen den stärksten Eindruck machen. Albert hatte es beim Militär gemerkt, ohne es zu verstehen, und seine Ziehharmonika überallhin mitgenommen, auf Märschen damit Wunder verrichtend, vor allem an sich selbst. »Der Teetjen frißt Noten, wie mein Gaul Hafer«, hatte sein Kompanieführer einmal bemerkt, »und dementsprechend schmeißt er die Beine.« Es hatte sich also als arge Klippe für das eheliche Glück der Teetjens erwiesen, daß Frau Stine so ganz anders geartet war. Er schielte zu ihr hinüber: wie denn auch nicht, Stine schlief.
    Wer von Jugend an gewöhnt ist, Predigten zu hören, vermag sich nur schwer dem einschläfernden Bann zu entziehen, der von Vorgelesenem ausgehen kann. Die junge Stine Geisow hatte dasgesprochene Wort empfangen gelernt als Ausstrom und unmittelbare Berührung, eine menschliche Seele rührte an die andere, an die einer Gemeinde. Fehlte dieses Lebendige, so vernichtete der Schall der Stimme ihre Aufnahmefähigkeit, wie ein blendendes Licht zum Schließen der Lider zwingt. Irgend etwas in ihr krümmte sich, schrumpfte ein, ihre Blicke wurden starr, ihr Atem schwerer, ihr Bewußtsein dämmerte weg – sie schlummerte ein. Aufrecht sitzend, die gefalteten Hände auf den Knien, unauffällig und ohne Laut bot sie den Anblick einer vertieft Lauschenden – kaum daß ein Nebenmann belustigt oder bedauernd davon Kenntnis nahm, die Ursachen solcher Ermüdung bei einer so hübschen Frau vermutungsweise abwägend. Zum Glück saß man viel zu weit entfernt, um dem Vortragenden ein Ärgernis zu bieten.
    Natürlich hatte Laberdan als echter Deutscher bei den alten Griechen angefangen. »Schon die alten Griechen«, so begann ja fast jeder brave Pennäler nur zu gern seinen Klassenaufsatz. Der sogenannte Äskulapstab, das Symbol der Heilkunst, könnte sehr wohl von einer Wünschelrute angeregt worden sein. Auf mittelalterlichen Holzschnitten fanden sich Schlangen mit gespaltenen Schwänzen abgebildet ... Daß der Stab Moses, der Wasser aus dem Felsen schlug, nur eine Wünschelrute sein konnte, durfte man heute auszusprechen wagen, nachdem die jüdische Aufklärerei und ihr dürrer Rationalismus einer fruchtbareren Geistesanschauung gewichen war; das füllte die erste Viertelstunde. Daß die Wünschelrute in der Hand eines dafür Begabten Wasserläufe anzeigt, Erzlager, Ölvorkommen und selbst vergrabene Horte aus Münzen oder Geräten, dafür gab es die gültigsten Beweise. Er werde sich nachher die Freiheit nehmen, die Wirkung einer solchen Rute vorzuführen. Hatte doch Herr Oberstleutnant Lintze durch seine freundlichen Ausführungen auch in den zweifelsüchtigsten Geist Bresche geschlagen. Die Kraft, welche auf diese Rute wirkte, vermochte die Fäuste und Gelenke eines Mannes herunterzubiegen und umzudrehen, als wäre ein starker elektrischer Strom im Spiel. Ob sich das Phänomen einer solchen Haselrute – auch Erle oder Buche kam in Betracht – durch die Auswirkung des Erdmagnetismus erklären lasse, müsse er freilich Berufeneren überlassen, Physikern, Wellentheoretikern, wie sie in Hamburgmit Heinrich Hertz ein klassisches Vorbild besaßen. Man merkte an seiner Ausführlichkeit, wie sehr ihn dieser Stoffteil fesselte. Aber daß man auch Krankheiten mit der Wünschelrute diagnostizieren könne, davon ließen sich, zum Glück für die leidende Menschheit, doch schon mehr und mehr von den ärztlichen Kollegen überzeugen. Da unsere Erde, ein Planet unter Planeten, mit unserem ganzen Sonnensystem als ein mittelgroßes, durchaus nebensächliches Sternhäuflein der Milchstraße angehörte, vor deren zerstörender Ausstrahlung uns nur unsere Lufthülle schützte, lag es nahe, daß Erdstrahlen ebenfalls kosmische Todesstrahlen oder mit ihnen nahe verwandt waren. Die Erde als gemütlicher Aufenthalt und die beste aller denkbaren Welten unseres guten Leibniz segelte ja in den Abgrund, als unser Führer Adolf Hitler die Sozialplatitude »Weimarer Republik« von ihrem Thrönchen schleuderte. Dr. Laberdan ließ seine eng beieinanderliegenden Augen bedrückt über sein Publikum schweifen. Während der Rede des Oberstleutnants Lintze hatte er, seiner Gewohnheit gemäß, die Stuhlreihen gezählt: vierundzwanzig, je sechs

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