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Das Beil von Wandsbek

Das Beil von Wandsbek

Titel: Das Beil von Wandsbek Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Arnold Zweig
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Plätze vom Mittelgang, magische Zahlen, wie üblich bei diesen Logenbrüdern. Annähernd zweihundert Menschen mochten gekommen sein, sich belehren zu lassen oder der Reichswehr wegen – in dieser Zeit der Wiederaufrüstung, der wiederhergestellten Wehrpflicht, Wehrhoheit, Wehr-Ehre ... Zweihundert helle Gesichter hielten sich ihm zugekehrt, ihre Augenpaare durchforschten ihn, forderten Wahrheit, vertrauten ihm. Zweihundert Leute hatten ihm einen freien Abend gewidmet, sich sauber angezogen, Grund genug, wenn man kein Schaumschläger war, nur sein Bestes zu geben. Gut, daß er seinen Vortrag ausgearbeitet hatte. Niemand konnte ihm jene Leichtfertigkeit vorwerfen, die während der Systemzeit oberflächliches Wissen ausgeschenkt hatte. Dr. Laberdan holte tief Atem, befeuchtete seine Kehle mit mehreren Schlucken Wassers und fuhr fort. Schlummerten in unserem magnetischen Erdkern, so legte er dar, zerstörende Kräfte, wie es den Anschein hatte, so war mit der Anwendung der Wünschelrute ein Weg gezeigt, mit ihnen fertig zu werden und die Medizin in Zusammenhang zu bringen mit anderen Naturwissenschaften und dem politischen Umbruch, der nationalsozialistischenRevolution. Das Christentum und Marx hatten versucht, die dämonischen Wildheiten unserer durchaus rätselhaften menschlichen Existenz und irdischen Gefangenschaft durch Theorien zu bannen, die etwas Rührendes besaßen in ihrer Ohnmacht. Wir aber wußten, daß Deutschland wieder einen großen geistigen Durchbruch durch das Wissenspfaffentum unserer Zeit geleistet hatte, wie weiland mit der Person Martin Luthers. Auch dieser Reformator war aus den Tiefen des Volkes aufgebrochen, musikliebend und von seiner Sendung besessen, wie Adolf Hitler. Als Luther 1517 seine Thesen an die Schloßkirche zu Wittenberg anschlug, schüttelte sich die gebildete Welt vor Abscheu über den nordischen Barbaren, der von den Feinheiten der katholischen Lehre und den Notwendigkeiten für das Leben der Menschen nichts verstand. Und doch warf dieser Akt den einzigen Vorwärtsgang an, den der europäische Motor aufzuweisen hatte, und eine Befruchtung der Geistesfreiheit, von der auch die Gegner Unendliches profitierten. Seither wußte jeder Rutengänger, daß auch sein Tun das Weltreich des germanischen Gedankens mit ausrichtete und dem Herrenvolk gab, was ihm gebührte, zu Nutz und Frommen auch der beherrschten Zukurzgekommenen; solche Darlegungen füllten die zweite Viertelstunde. Er lasse jetzt eine Pause eintreten und werde nachher zu praktischem Vorführen schreiten, wie er angekündigt, übrigens sei seine Anschrift Strafanstalt Fuhlsbüttel, Krankenhaus, er leite die Ortsgruppe Hamburg im Reichsverband deutscher Rutengänger.
    Käte Neumeier fühlte sich besonders berührt. Seit wann waren dem Kollegen Laberdan so philosophische Regungen zuzutrauen? Gefangenschaft im irdischen Gefängnis, das paßte gut zu Fuhlsbüttel. Aber Adolf Hitler im Zusammenhang mit Martin Luther – ging das nicht ein wenig weit? Und das ganze von der Wünschelrute in Bewegung gesetzt, mit der man nicht nur das Innere der Erde durchspüren wollte, sondern auch das des Menschen? Sie schaute empor zu der gewölbten kassettierten Decke, die dem Raum etwas leicht Feierliches gab, und besann sich, daß dies eigentlich ein Logentempel gewesen, der Feierraum einer jener geheimen Gesellschaften, mit denen das Dritte Reich kurzen Prozeß gemacht. Zu ihrer Schande mußte Käte Neumeier gestehen,sie wußte nicht einmal welche Art Gesellschaft hier kassiert, wessen Vereinsvermögen hier beschlagnahmt worden war, ob einer jüdischen oder atheistischen Loge. Kaum jemand achtete ja auf Vorgänge solcher Art, die unlösbar blieben vom Einsturz von Vorrechten, Nachschieben anderer Gesellschaftsschichten. Diesmal war das Kleinbürgertum zum Zug gekommen, Ladenbesitzer, Handwerker, Beamte, Studenten. Der Herr Vereinsvorsitzende gab kein schlechtes Beispiel für diesen Schub. Überall zwischen den Uniformen in den Reihen, die sie übersehen konnte, saßen Menschen, Frauen und besonders Männer, deren Augen gläubig an dem Vortragenden hafteten und in deren Gesichtern es arbeitete, das Vorgetragene zu bewältigen. Ein gebildetes Volk, das deutsche, vorgeschult zu allem Guten, aber auch zu allem Bösen? In welchem ein Rechner wie Herr Footh jederzeit ein Instrument auftreiben konnte, ein Werkzeug, bereit ein Urteil, also einen Befehl der Obrigkeit, auszuführen und Geld dafür in die Tasche zu stecken; bedenkenlos? Schwer zu

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