Das Beil von Wandsbek
vorwärts, heftete sich an des Mörders Fersen, kannte keine Gnade und keine Müdigkeit. Boykott! Das war es. Wenn Geesche Barfey in den Haushalten, bei denen sie wusch, während sie auf dem Küchenstuhl saß und ihr Frühstückstöpfchen Kaffee nippte, Andeutungen fallen ließ, bei Schlächter Teetjen gehe es bedenklich zu, er habe da mit seinem Beil in Fuhlsbüttel ein paar Menschenköpfe abgehackt und es danach bestimmt nicht in St. Petri oder St. Michaelis weihen und entsündigen lassen oder bei der städtischen Desinfektion mit Karboldämpfen gereinigt ...
Halluzinierte sie? Stand dort in hellem Licht nicht das Gesicht des Burschen vor der weißen Wand, den sie vorhin Mörder genannt hatte? Und das daneben, war das nicht der kupferne Haarschopf des Gänschens, seiner Frau? Käte Neumeier biß ihre Zähne zusammen, gleichsam in Nachfolge Tom Barfeys, der ja nicht da war, und machte ihre Augen klein und scharf, um an den Teetjens vorüberzuspähen, nach Bert Boje, der möglicherweise gar nicht hergekommen war. Sie mußte sich an die nächste Stuhllehne klammern, um des Widerwillens Herr zu werden, des Hasses, der sie schüttelte. Sowas lief herum, schlief bei einer Frau, machte Ausflüge nach Stellingen, ließ sich über die Wünschelrutebelehren – der trotzige Kopf aber und das durchgebildete Gehirn Friedel Timmes waren gewaltsam von seinem etwas verfetteten Körper getrennt worden, in die Anatomie gewandert, in ein Präparat, in die Abfalltonnen, auf die Rieselfelder. Nein, Herr Teetjen, das ist noch nicht der Schluß, mein lieber Mann. Da werden sich noch manche Leute hineinmischen, bescheidene Nagetiere, Haus- oder Feldmäuse. Die Kinder lernten da ein Sprichwort von den Mühlen des lieben, jetzt in den Hintergrund gedrängten Gottes. Man brauchte kein Gott zu sein, durfte sogar den lächerlichen Namen Neumeier von seinen Vätern geerbt haben, und konnte doch dazu ausersehen sein, Recht statt Gnade geschehen zu lassen. Denn wenn die Dinge auf dem Kopf stehen, erweist der ihnen die größte Gnade, der sie wieder zurechtrückt.
»N’Abend, Tante Käte, fein, daß du gekommen bist«, sagte Bert Boje, indem er ihr die Hand auf die Schulter legte. Sie wandte sich zu ihm um, von seiner Anrede mitten in ihrem Gedankenablauf elektrisch berührt; aber noch ehe sie etwas antworten konnte, lief eine Art Zucken durch den ganzen Saal: eine Sirene! Luftschutzübung! Ein Winseln und Heulen, zugleich dringlich, drohend und klagend oder warnend, schallte von draußen herein durch die geöffneten Türen besonders, welche die Zuhörerschaft in die Vorräume entlassen hatten oder wieder zurückbrachten. Das hatte der Kollege Laberdan nicht erwartet, wahrscheinlich auch Herr Lintze nicht, obwohl den niemand während des Vortrages erblickt hatte. Die Lampen erloschen, kleine rote Notlichter bezeichneten die Ausgänge, die Stimme des Vorsitzenden mahnte von irgendwoher zur Ruhe und zum Aufsuchen der Luftschutzkeller unterhalb des Erdgeschoßes, die Treppen seien breit und hinreichend erhellt. Bert Boje hielt Käte Neumeier am Arme fest, führte sie an den Wänden lang und am Vorstandstisch vorbei ins Treppenhaus: »Komm mit rauf, Käte, zur Feuerwache, zum Verbandsplatz.« Und während die Menschenmenge sehr ordentlich und ohne Hast in die Keller strömte, zog er sie die Treppen aufwärts, beständig das Wort »Feuerwache« in die dunkle Luft sprechend, bis zu einem Vorplatz unterhalb des Daches, von welchem aus nur noch Leitern weiterführten undauf welchem Geräte standen, Kübel mit Sand, einige Stangen, Schaufeln, Sandsäcke, beleuchtet von den Taschenlampen der drei oder vier Männer, die sich dienstgemäß dort oben zusammenfanden. Die Sirenen heulten noch immer, durch das geöffnete Fenster wirbelten Schneeflocken herein, die ersten des Jahres, vom Ostwind herangetragen. Wird einen schönen Matsch geben, dachte Käte Neumeier. »Scheinwerferübung«, bemerkte eine tiefe Stimme. In der Tat zogen sich Lichtbahnen, bläulichweiß, durch das Tanzen der Flammen. Schmal und scharf begrenzt, ausgesandt von irgendwelchen Stellen, weit verstreut, der Riesenstadt. Durch das Heulen der Sirenen, die vom Hafen her, mit tieferen und ganz tiefen Stimmen verstärkt wurden, den Nebelhörnern der Ozeandampfer, brummte und sang der Motor eines Flugzeuges. Irgendwo zog es seine Bahn, die weißen Lichtbänder tasteten danach, fanden es aber nicht, offenbar hatte der Schnee sich programmwidrig eingemischt. »Es klappt noch nicht«, sagte eine
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