Das Beil von Wandsbek
Stimme. »Ist noch kein Meister vom Himmel gefallen«, erwiderte eine andere. – »Braucht auch keiner«, antwortete es, »und nebenbei hat uns Hermann ja versprochen, zu uns kommt keiner rüber.« Jemand lachte bewundernd. »Dicke Propheten wiegen doppelt.«
Käte Neumeier zeigte ihren Ausweis der Ärzteschaft vor, die Taschenlampe blendete in ihr Gesicht, der Beamte entschuldigte sich höflich, alles blieb wieder im Halblicht, in der Dämmerung, die von den Scheinwerfern auf unregelmäßige Weise geisterhaft und kalkig erleuchtet wurde. »Mit Laberdans Vortrag wird es wohl nicht mehr viel werden«, bemerkte Käte Neumeier halblaut, auf einem Sandsack sitzend und zu dem Sohne ihrer Schwester emporgewandt. Sonderbar, dachte sie dabei, als ich mit Friedel Timme ging, war das hier ein Steppke, noch nicht schulpflichtig ... Bert lachte, Kätes armer Kollege werde also noch ein zweites Mal bei den Rutengängern reden müssen, was ihm ja nicht schwer fallen dürfte, dem Herrn Vorstand. Er, Bert, wäre sehr dankbar, wenn er die Tante nach Hause bringen dürfte, um mit ihr bei einer Tasse Tee eine kleine Familienangelegenheit zu bemunkeln, die heute spruchreif geworden sei. »Laß uns langsam hinuntersteigen, dieses Schauspiel wird nicht mehr lange dauern, Stromund Kohle sind teuer, und klappen will’s ja noch nicht!« – »Aber großartig ist’s schon«, sagte der Mann mit der tiefen Stimme und gab Käte den Platz am Fenster frei.
Durch die blaugraue Nacht, einen Himmel, der von Schneeflocken tanzte, bohrten sich jetzt Dutzende von weißen, flimmernden Säulen Lichtes, besonders in der Hafengegend stiegen sie auf, freiwillige Mitarbeit der Schiffe, soweit sie ihre Mannschaft schon an Bord hatten. Sie bewegten sich ungewiß, schnitten einander, wie ungeheure Buchstaben einer an den Himmel geschriebenen Flammenschrift, tasteten mit bleichen Riesenfingern hierhin und dorthin. Manchmal ergänzten sie sich zu riesigen Winkeln, selbst zu einem Bogen, dann wieder entstanden Sterne, ohne daß sich das Flugzeug in ihrem Schnittpunkt fing; vielmehr brummte es unsichtbar über der Wolkendecke. Offenbar war das Schlußzeichen in wenigen Minuten fällig – Übungen bei diesem Wetter hatten erst bei sehr fortgeschrittenen Mannschaften Sinn. Schallte erst das »Alles klar« über die Dächer und durch die Straßen, so würden sich die Elektrischen sehr schnell füllen, die dann wieder ihren Dienst aufnahmen. Großartige Technik, dachte Käte Neumeier, während sie sich vom Fenster zurückzog und eine Schneeflocke mit den Lippen fing – es war ein salzloser, erfrischender Vorgeschmack des Winters. Familienangelegenheit? Sollte Annette im Spiel sein? Um wieviel besser hätte dieses unbegreifliche Mädchen zu einem Jungen wie Bert gepaßt, statt zu ihrem widerwärtigen Footh.
Aber als sie dreiviertel Stunden später in Kätes behaglichem Arbeitszimmer saßen, die Vorhänge grün und braun gestreift und einen modernen, schlichten Teppich in den gleichen Farben unter den Füßen, ergab sich etwas ganz anderes, eine Frage so heikler Natur, daß Bert nur hier davon sprechen wollte, wo man vor Lauschern sicher war. Die SS. hatte ihm heute jemanden auf die Bude gesandt, ob er nicht endlich die langweilige SA.-Uniform ausziehen und zu ihr herüberkommen wolle. Die Elitetruppe des Führers bot ihm nur Vorteile, sie brauchte junge, fixe Burschen wie ihn, die Tage der SA., trotz ihrer glorreichen Vergangenheit, waren nun doch vorbei. Höher besoldet, wie die SS. heute dastand, mit den besten Verbindungen, gesellschaftlich und politischunvergleichlich passender, konnte es auf diese Einladung doch nur eine Antwort geben. »Der Kerl, den sie mir schickten, Herr Sturmbannführer Preester aus deinem Bezirk, gab mir zu denken, Tante Käte. Ich möchte dem Burschen nicht in die Hände fallen, weder im Guten, noch im Bösen, und sicher hat man ihn gewählt, weil die Gestapo ja deine Vergangenheit kennt. Seine Kameraden bei mir in Barmbeck haben mehr Schliff.« Käte Neumeier atmete Rauch aus. »Was hast du ihm geantwortet, mein Junge?« Bert Boje zog an seiner Pfeife, der Geruch seines holländischen Tabaks füllte ohnehin das Zimmer. »Deswegen sitzen wir hier, Tante Käte. Ich bin ja doch kein Esel, nicht wahr? ihm mein Herz auf die Nase zu binden. Ich vergesse den 30. Juni nicht, ich nicht. Ich mag nicht und mag nicht in die SS. Die Ermordeten damals waren bestimmt keine Engel. Aber hitlertreu bis in die Knochen. Und daß man sie so viehisch
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