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Das Bernsteinerbe

Das Bernsteinerbe

Titel: Das Bernsteinerbe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heidi Rehn
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drei Wochen zurücklag.
    »Ich habe sie selbst gesehen«, berichtete Farenheid. »Zufällig habe ich an jenem Morgen einen Kaufmann nahe der Brücke besucht. Von dessen Fenster im ersten Stock konnte ich alles genau beobachten. Ohne jedwedes Schamgefühl hat sich die kleine Grohnert an den Blaurock heranscharwenzelt und ist dann offen an seiner Seite durch die Stadt marschiert. Es gab Proteste, Warnungen, Rufe, aber sie hat das nicht gekümmert. Ehrlich gesagt, meine Herren, nimmt das nicht wunder. Immerhin ist das Gör das Kind von Leuten, die mitten im Heerestross des Großen Krieges aufgewachsen sind. Was kann es da an Ehrgefühl geben? Heimatloses Pack sind die Grohnert und ihr Gemahl letztlich selbst gewesen. Dabei kann man ihnen wenig Vorwürfe machen. Einst wurden ihre Väter, sowohl der Singeknecht wie der Grohnert, mit Schimpf und Schande aus dem Kneiphof gejagt. Der Onkel hat mit zwielichtigen Methoden einige Jahre später seinen Besitz zurückerlangt. Uns ist doch gar nichts anderes übriggeblieben, als ihn wieder bei uns aufzunehmen. Erinnert Euch, wie Gerke vor vier Jahren seine Bedenken gegen die wie aus dem Nichts aufgetauchte Erbin angebracht hat. Schande über uns, ihm damals nicht die nötige Aufmerksamkeit geschenkt zu haben.«
    »Wollte er nicht das Haus in der Langgasse für sich selbst …« Boye kam nicht dazu, seinen Satz zu beenden. Mit einem ärgerlichen Wink schnitt Farenheid ihm das Wort ab. »Die Wirtsleute aus dem Grünen Baum hatten auch Interesse, das Anwesen bei Ablauf der Erbschaftsfrist zu erwerben. Viele andere hätten es sicher auch gewollt. Immerhin ist es ein stattlicher Bau. Ihn über all die Jahre instand zu halten, war allein Gerkes Verdienst. Ein seltsamer Zufall, dass er ausgerechnet jetzt stirbt, wo die Kurfürstlichen hier auftauchen und das Paktieren der jungen Grohnert mit den Blauröcken ruchbar wird.«
    »Erstaunlich, dass sie das mitten auf der Straße tut. Gerade weil sie und der junge Kepler doch heiraten wollen, wie es heißt. Wenn sie da ausgerechnet eine heimliche Liebelei mit einem Kurfürstlichen zu verbergen hätte, sollte sie besser …«
    Wieder kam Boye nicht dazu, seinen Gedanken zu Ende zu führen. Dieses Mal war es Gellert, der ihn ungeduldig unterbrach. »Schweigt lieber. Ihr begreift einfach nicht, worum es in der Sache geht. Das sind alles merkwürdige Zufälle. Unterm Strich beweisen sie eines: Mit den beiden Damen aus dem Singeknecht’schen Haus stimmt etwas nicht. Wie Ihr schon sagtet: Was ist von solch windigen Leuten aus dem Heerestross der Kaiserlichen zu erwarten? Nur weil sie sesshaft wurden, bedeutet das nicht, dass sie ehrbare Bürgerinnen geworden sind.«
    »Nichts Gutes ist von solchen zu erwarten, mein Bester, nichts Gutes«, raunte Farenheid bedeutungsschwanger.
    »Mit Verlaub, mein Lieber, aber ich weiß nicht«, warf Boye matt ein, »kann es nicht sein, dass Ihr da einfach nur etwas gründlich missgedeutet habt?«

    21
    D rei Tage waren vergangen, seit Carlotta die Kaufleute beim Fischmarkt belauscht hatte. Mit jedem Tag fühlte sie sich schlechter. Es gebrach ihr sogar am Willen, gegen die bösen Gerüchte aufzubegehren. Niemandem wollte sie sich anvertrauen. Nicht einmal nach Christoph hatte sie geschickt, geschweige denn versucht, ihn zu treffen. Mit ihm offen über Mathias zu sprechen, schien ihr ein Ding der Unmöglichkeit. Dass er nicht aus eigenen Stücken in der Langgasse auftauchte, wertete sie als Bestätigung ihrer düsteren Ahnung: Er wusste längst von allem und hatte sich bereits ein Urteil gebildet, das wohl kaum zu ihren Gunsten ausfiel. Kaum brachte sie das mit der Erinnerung an ihre letzten Küsse und Umarmungen zusammen. Nein, so durfte sie nicht denken!, schalt sie sich. Christoph liebte sie. Mehr als einmal hatte er ihr seine Bereitschaft versichert, ihretwegen notfalls alles aufzugeben: seine Familie, sein Zuhause, die sichere Stelle als Stadtphysicus. Gewiss war er der Letzte, der den unglaublichen Unterstellungen Glauben schenkte. Sie sollte zu ihm gehen, um mit ihm zu reden. Bleich stand sie im Kontor und sortierte die Bestandslisten des Lagers in eine Kiste, stapelte den Briefwechsel mit Handelspartnern auf dem Tisch.
    »Wo bist du nur mit deinen Gedanken, Liebes?« Unerwartet stand die Mutter vor ihr. »Schau!« Vorwurfsvoll hielt sie ihr ein Blatt vor die Nase. »Das hast du eben zu den Schreiben des vergangenen Sommers sortiert. Dabei ist das Schrempfs Liste der Waren, die sich zu Beginn des Monats im

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