Das Bernsteinerbe
sah sie eindringlich an.
»Entschuldigt«, bat sie. »Ich bin gerade selbst auf dem Weg zu Doktor Kepler. Ungern lasse ich ihn warten.«
»Warum so eilig? Er ist bereits auf, war gestern sogar beim Gottesdienst. Was also wollt Ihr noch bei ihm?« Er fasste ihr mit den Fingern unters Kinn, hob es an und zwang sie, ihn geradewegs anzusehen. »Lasst mich raten. Es ist Eurer Salbe wegen. Seit der ehrwürdige Kepler davon gesprochen hat, mir die Ehre zu erweisen, vor der Fakultät …«
»Nein, nein«, wiegelte Carlotta ab. »Darum geht es mir nicht. Sofern es Euch gelingt, die exakte Rezeptur herauszufinden, gönne ich Euch diese Auszeichnung von Herzen. Ich weiß doch, wie wichtig sie Euch ist. Ohne Eure Hilfe wäre ich nie so weit gekommen.«
»Spart Euch Eure Lügen!« Heydrichs Stimme klang so schroff, dass sie erschrocken zusammenzuckte. »Glaubt nicht, mir wäre nicht klar, dass Ihr längst mit Caspar Pantzer aus dem Löbenicht einig geworden seid. Er versucht sich ebenfalls an der Salbe, und im Gegenzug setzt Ihr gemeinsam mit dem jungen Kepler alles daran, den kurfürstlichen Leibarzt zu überreden, Pantzer an meiner statt vor den Professoren und Studenten mit der Mixtur auftreten zu lassen. Mit eigenen Augen habe ich gesehen, wir Ihr Euch letztens in meinem Laboratorium Zeichen gegeben habt. Es ist nur eine Frage der Zeit, bis Pantzer dank Eures Zutuns kurfürstlicher Hofapotheker wird und weitere Ehrungen erhält.«
Erschöpft hielt er inne, setzte die Brille zurück auf die lange Nase und reckte das Gesicht in die Luft. Noch bevor Carlotta etwas einwerfen konnte, fuhr er fort: »Ein wahrhaft teuflischer Plan, meine Beste! Fast wäre es Euch gelungen, uns alle hinters Licht zu führen.«
»Wovon redet Ihr?«
»Tut nicht so! Das wisst Ihr doch genau. Über Monate habt Ihr mich benutzt, um mit der Salbe voranzukommen. Kurz vor dem Durchbruch aber nehmt Ihr mir alles weg und macht mit diesem unsäglichen Pantzer weiter. Doch damit nicht genug! Für Euren hinterhältigen Anschlag auf den hochgeschätzten Kepler habt Ihr Euch ausgerechnet noch mein Laboratorium ausgesucht. Könnt Ihr Euch vorstellen, was das heißt? Beinahe wäre der kurfürstlich-brandenburgisch-preußische Leibarzt unter meinem Dach, ja sogar vor meinen Augen auf unerklärliche Weise gestorben! Ist das Euer Dank? Habe ich Euch und Eurer Mutter dafür all die Jahre beigestanden? Völlig fremd seid Ihr hier am Pregel gewesen, dahergelaufene Wundärztinnen aus dem kaiserlichen Tross. Wie habe ich nur so gutgläubig sein und Euch meine Türen öffnen können!«
Er schüttelte den Kopf, zog ein weißes Leinentuch aus der Tasche und tupfte sich trotz der niedrigen Temperaturen Schweißperlen von der Stirn.
Carlotta erstarrte. Wie konnte Heydrich ihr derart Ungeheuerliches unterstellen? Das mit der Salbe war schlimm, doch die Andeutung auf Keplers Zusammenbruch barg gar noch Wüsteres. Ein Anschlag auf Kepler – von ihr geplant und kaltschnäuzig durchgeführt! Es war nicht zu fassen. Bestimmt hatte Farenheid ihm von seinen Verdächtigungen erzählt. Kein Wunder, dass Heydrich ihr nun alles zutraute. Ihre Finger tasteten nach dem Bernstein, umschlossen ihn, bis ihr die Knöchel schmerzten.
»Wollt Ihr allen Ernstes behaupten, ich hätte einen Anschlag auf den verehrten Kepler verübt? In Eurer Offizin? Vor den Augen seines Sohnes?« Sie zitterte vor Wut. »Ihr wisst doch, was es mit Keplers Zusammenbruch auf sich gehabt hat und wie ihm die Bernsteintropfen meiner Mutter geholfen …«
»Genau das ist das Unfassbare!«, schrie Heydrich aufgebracht dazwischen. Vor Schreck entglitt Carlotta der Bernstein.
»Erst habe ich natürlich alles für bare Münze genommen, wie Ihr es vor meinen Augen aufgeführt habt«, redete der Apotheker weiter. »Der arme Kepler bricht zusammen, benötigt dringend Hilfe. Ihr wisst, was zu tun ist, und rettet ihm quasi vor meinen und seines Sohnes Augen das Leben. Dafür ist er Euch zu tiefstem Dank verpflichtet und wird fortan alles tun, was Ihr von ihm verlangt. Ein ganz ausgeklügelter Plan! Inwieweit Keplers Sohn an dem Spiel beteiligt ist, vermag ich nicht zu sagen. Ihn habt Ihr so oder so in Eurer Hand. Nun aber geht es allein um den alten Kepler.«
»Ich weiß nicht so ganz, worin für mich der Vorteil …«, versuchte sie, ihm zu widersprechen. Er aber überging den Einwand sogleich.
»Schon beim Tod des alten Gerke hat die Essenz Eurer Mutter eine wichtige Rolle gespielt. Unverzeihlich, dass ich nicht
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