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Das Bernsteinerbe

Das Bernsteinerbe

Titel: Das Bernsteinerbe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heidi Rehn
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suchten sich einfache Fischerboote zu behaupten. Immer wieder schleppten Burschen Körbe und Netze mit im Todeskampf zappelnden Fischen zum Markt. Der strenge Geruch, der über allem lag, ließ ahnen, wie gut der Fang im Frischen Haff trotz des rauhen Novemberwetters gewesen sein musste. In Holzbottichen präsentierten verhärmte Weiber Berge fetter Seefische zum Verkauf. Kaum waren die einzelnen Arten in der Fülle zu unterscheiden. Aal und Flunder fanden sich frisch geräuchert in Fässern daneben. Eine zahnlose Frau klammerte ihre dürren Finger in einen fadenscheinigen Umhang und rannte Hedwig nach, um sie zu den Ständen mit den Süßwasserfischen auf der anderen Seite des Marktes zu locken.
    »Vergesst die alten Heringe da drüben, gute Frau, oder glaubt Ihr wirklich, gestern wäre auch nur einer der Fischer tatsächlich mit seinem Boot ins Frische Haff hinausgefahren? Denkt nur an das Schneetreiben, das uns selbst hier in der Stadt die Sicht verschleiert hat! Daheimgeblieben sind die Fischer, haben die Netze geflickt und den alten Fisch mit Salzlauge abgewaschen, um ihn heute wieder als frisch anzubieten. Kommt lieber rüber zu mir. Ich zeige Euch, was Ihr stattdessen in den Kochtopf werfen könnt. Mein Fisch wird dem heutigen Freitagsmahl wenigstens gerecht.«
    Stolz wies die Fischfrau mit der Hand auf ein halbes Dutzend wassergefüllter Holzwannen, in denen Hechte, Zander und Barsche zappelten. Schon fürchtete Carlotta den Moment, da Hedwig auf eines der glitschigen Tiere zeigen würde. Das Fischweib würde mit bloßen Händen an das hintere Ende fassen, den Fisch herausheben und den Kopf des wild um sein Leben kämpfenden Fischs erbarmungslos gegen den Wannenrand schlagen. Angewidert wandte Carlotta sich ab, wurde vom dichten Gedränge rasch ein gutes Stück weiter die Uferstraße hinaufgeschoben.
    Eine Dreiergruppe elegant gekleideter Kaufleute erregte ihre Aufmerksamkeit. Nur wenige Schritte von den Bottichen mit Süßwasserfischen entfernt standen sie beieinander und unterhielten sich angeregt. Neugierig geworden, stahl sie sich näher heran. Endlich konnte sie die Gesichter der drei Herren besser sehen. Tatsächlich waren es Zunftgenossen aus dem Kneiphof. Als sie die ersten Worte aufschnappte, verharrte sie wie angewurzelt.
    »Der alte Kepler hat gewaltiges Glück gehabt und ist Meister Sensenmann gerade noch rechtzeitig von der Schippe gesprungen«, erklärte Bernhard Farenheid, ein graubärtiger stämmiger Mann in der Mitte des Lebens. Mit seiner dröhnenden Stimme brachte er gern die kostbaren Glasscheiben im Börsensaal zum Zittern. »Oder sollte ich besser sagen: Nicht Meister Sensenmann ist er entkommen, sondern der kleinen Grohnert! Das junge Fräulein ist auf dem besten Weg, in die Fußstapfen seiner Mutter zu treten. Schon der arme Gerke ist nicht ganz zufällig gestorben, wie wir inzwischen wissen.«
    »Stimmt«, pflichtete Lorenz Gellert bei und fuhr sich mit den knotigen Fingern durch den dichten, flammend roten Bart. Die gelblich-lederne Haut seines Gesichts hob sich umso schärfer davon ab. Gelassen schweifte sein Blick über die Menge, als gelte es, nach weiteren Gesprächspartnern Ausschau zu halten. Unwillkürlich duckte sich Carlotta hinter den Stamm einer einsamen Linde.
    »Gerkes Tod ist wahrlich ein böses Omen«, sagte Farenheid. »Ausgerechnet an dem Tag, an dem die Kurfürstlichen Roth festgenommen haben, hat es ihn erwischt. Das kann einfach kein Zufall sein. Da hat die gute Magdalena Grohnert doch bestimmt etwas mit bewirken wollen.«
    »Ich habe auch schon läuten hören, dass etwas daran faul sein muss«, tat Gellert wichtig.
    »Worauf wollt Ihr hinaus?«, wagte Reinhold Boye, der Dritte im Bunde, nachzuhaken. Verlieh ihm das ständige Tragen einer Brille ohnehin schon ein ungewöhnliches Aussehen, so untermauerte sein Hang zum steten Nachfragen erst recht den Eindruck, er habe die Weisheit nicht eben mit Löffeln gefressen.
    Sogleich schnaufte Farenheid auf, warf Gellert einen seltsam verschworenen Blick zu und erklärte in bemüht nachsichtigem Ton: »Sagt nur, Ihr habt immer noch nicht begriffen, was es mit der Bernsteinessenz aus dem Hause Grohnert auf sich hat? Erst nimmt Gerke sie und stirbt, dann wird sie Kepler eingeträufelt, und er liegt tagelang halb tot im Bett. Vergangenen Montag hat die Witwe Grohnert gar vor aller Augen gewagt, Helmbrecht davon einzuflößen. Wie vom Teufel besessen ist er zuvor in seltsamen Zuckungen zusammengebrochen. Kein Wunder! Wir alle

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