Das Bernsteinzimmer
Wilhelm gutgelaunt. Zwei Diener rissen die Türe zum Rauchkabinett auf. »Lassen wir's uns schmecken, meine Herren … nachher werden wir die Truppen besichtigen.«
Im Lustgarten war das 1. Bataillon des 1. Garderegiments zu Fuß, die Langen Kerls, angetreten und wartete auf den König und seinen Besuch, den Zaren von Rußland. Für diese Parade hatte man wochenlang geübt, hatte man herumgeschrien, hatten die Unteroffiziere und Feldwebel mit ihren Stöcken auf die Soldaten eingeprügelt, wenn die Richtung nicht stimmte, wenn der Gleichschritt aus dem Rhythmus kam, wenn die Wendungen zu müde waren und die Kampfübungen aussahen wie das Spielen mit Kinderholzgewehren. Der Kommandeur der Garde, Oberst von Rammstein, hatte jeden Tag die Truppe inspiziert und eine Stunde lang den Übungen zugesehen. Vorzüglich klappte alles, aber zufrieden war er nicht. Ein Kommandeur darf nie zufrieden sein, es macht die Soldaten übermütig und faul. Nach diesem selbstgedrechselten Spruch handelte von Rammstein, schnauzte die Offiziere an, die schrien die Feldwebel an, und die Feldwebel brüllten wie gestochene Stiere auf die Grenadiere ein und prügelten sie.
Nun stand das 1. Bataillon auf dem riesigen Exerzierplatz im Lustgarten und wartete auf Zar und König. So wichtig war diese Demonstration preußischer Militärerziehung, daß der Reformator des preußischen Heeres, noch 1713 von König Friedrich I. zum Feldmarschall ernannt und damit auf die höchste Stufe der preußischen Gesellschaft gehoben, einen Tag vor Eintreffen des Zaren in Berlin die Gardebataillone zu einer Sondervorführung antreten ließ und selbst inspizierte.
»Es geht nicht allein um Reputation!« sagte dabei der Alte Dessauer zu Oberst Rammstein. »Wir müssen den Eindruck hinterlassen, daß wir unschlagbar sind. Und das sind wir – wir müssen nur wollen. Seine Pflicht tun kann jeder … seine Pflicht lieben, darauf kommt es an.«
Oberst von Rammstein antwortete: »So ist es, Herr Feldmarschall!« und nahm sich vor, diesen neuen Ausspruch des Dessauers seinen Offizieren als neuen Leitspruch weiterzugeben.
So vieles war durch Leopold von Anhalt-Dessau neu in die Armee eingeführt worden. Der berühmt-berüchtigte preußische Drill war sein Werk. »Alles Militärische muß eins sein«, hatte er zur Grundlage erklärt. »Von der Sprache der Kommandos bis zur Fortbewegung in Gleichschritt und Paradeschritt und dem Kaliber seines Gewehres. Das Exerzieren ist eine Gleichheit aller Glieder der Soldaten wie Teile einer Maschine und muß geübt werden, immer und unaufhörlich, bis der Soldat ein Ganzes alles Militärischen ist.«
Der Grundstein für eine Armee reiner Befehlsempfänger und wegexerzierter Persönlichkeiten war damit gelegt worden. Ein Soldat hat nicht zu denken, sondern nur zu gehorchen. Er hat Futter für den Moloch Krieg zu sein.
Schon 1698 machte der Dessauer eine weitsichtige Erfindung. Um die Gewehre von vorn, man nannte sie Vorderlader, mit Pulver und Bleikugeln zu laden, benutzte man hölzerne Ladestöcke, die oft im Kampf bei hastigem Stopfen der Läufe zerbrachen. Dann fiel die Feuerkraft dieses Soldaten aus. Den Dessauer durchzuckte bei solchem Anblick eine ebenso einfache wie geniale Idee, wie so viele geniale Ideen einfach waren: Er erfand den eisernen Ladestock. Der zerbrach nie, ließ ein schnelleres Laden zu und erhöhte die Feuergeschwindigkeit.
»Gut schießen, rasch laden, Unerschrockenheit und mutiger Angriff, das bestimme das Leben der Soldaten«, ließ der Dessauer die Armee wissen, und das wurde tagaus, tagein geübt, und in die Soldaten hineingebrüllt und hineingeprügelt.
Der Alte Dessauer ließ noch einmal alles durchexerzieren, was dem Zaren vorgeführt werden sollte, dann nickte er dem Oberst von Rammstein gnädig zu.
»Das wird Eindruck machen«, sagte er. »Ich bin zufrieden. Der König wird es auch sein.«
Einen Mann ließ er sich persönlich vorführen, den Feldwebel Hans Hoppel. In Ostpreußen geboren, war er ein breiter, schnauzbärtiger Kerl, gefürchtet von allen Rekruten, die ihm in die Hände fielen, ein Mensch mit einem Maul und einer Lunge, die zusammen ein noch nie gehörtes Gebrüll fabrizierten, ein Vorgesetzter zudem, der in allem voranging, nie ermüdete und alle Schlaffen anschrie: »Was ich kann, kann Er auch, Er Hundsfott! Er muß nur wollen!«
Das Gesetz des Alten Dessauers.
»Er macht morgen mit zwölf ausgesuchten Grenadieren eine besondere Vorführung?« fragte der Dessauer, als Hans
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