Das Bernsteinzimmer
Zaren, der auf einem breiten Sessel Platz genommen hatte und den zwölf Grenadieren unter dem Befehl von Feldwebel Hoppel genau auf ihre Bewegungen guckte, als sie mit Angriff und Eroberung von feindlichen Stellungen anfingen.
»Aus erster Hand, Wachter. Die Königin selbst sagte es zur Generalin von Knobelsdorff: ›Stellen Sie sich vor, der König hat das Bernsteinzimmer dem Zaren zum Geschenk gegeben.‹ Nur einen Meter stand ich hinter ihnen, habe es ganz deutlich gehört.«
»Der König kann doch das Bernsteinzimmer nicht verschenken.« In Wachters Stimme war ein deutliches Zittern.
»Warum kann er nicht … es gehört ihm.«
»Verschenken nach Rußland … für Preußen auf ewig verloren. Das darf er nicht!«
»Ein König kann und darf alles … wer will ihn daran hindern?« Der Hofbeamte, der Karl Urban hieß, faßte Wachter an den linken Arm. »Ich hielt es für notwendig, Euch sofort zu unterrichten, damit Euch der Schreck nicht in die Glieder fährt, wenn Ihr's vom König selbst erfahrt.«
»Ihr seid ein wahrer Freund, Urban.« Wachter starrte wieder auf den Zaren, der jetzt in die Hände klatschte, als Hoppels Grenadiere demonstrierten, wie man dem Gegner mit dem Säbel den Kopf spaltet. »Ich werde mit dem König sprechen.«
»Sprechen? Wollt Ihr lahmgeprügelt werden, Wachter? Ein Geschenk kann man doch nicht zurückholen! Wachter, haltet bloß den Mund. Nehmt es als eine Fügung Gottes. Der König wird eine andere Aufgabe für Euch finden. Es gibt im Schloß genug Dinge, die verwaltet werden müssen. Ich flehe Euch an: Es ist Schicksal … beugt Euch vor ihm …«
Wachter nickte ruckartig, als sei ihm der Kopf zu schwer geworden und falle nach vorn. Er klopfte Karl Urban auf die Schulter, drehte sich um, ließ seinen Blick über das sonnenleuchtende Bernsteinzimmer schweifen und verließ dann mit gesenktem Haupt den Raum.
Längst war der Zar weitergereist, als Freund von Preußen und beeindruckt von dessen Armee, über die er in Paris Wunderdinge zu berichten wußte, als ein Lakai in die Wohnung des Herrn Friedrich Theodor Wachter kam und einen Befehl Friedrich Wilhelms überbrachte:
»Er komme sofort zu mir.«
Wachter sah zum Fenster hinaus. Es war schon dunkel, die königliche Familie hatte wie üblich sehr einfach zu Abend gegessen. Es war eigentlich die Zeit, in der der König hinter seinen Akten saß, die Militärausgaben durchrechnete und Berichte der verschiedenen Rechnungskammern las und mit Randbemerkungen versah. Rastloser Arbeiter, der er war, kümmerte er sich um alles, von den Erträgen des Handels bis zur Urbarmachung versumpften Landes, von der Kleiderordnung seiner Soldaten bis zum häuslichen Frieden seiner Bürger. Wie oft war er mit seinem Buchenstock zwischen streitende Eheleute gefahren, wenn er sie auf seinen Wanderungen durch Berlin bis auf die Straße keifen hörte.
»Wann?« fragte Wachter erstaunt.
»Sofort. So steht's da.«
Wachter zog seinen blauen Rock an, seine Frau Adele reichte ihm die braune Perücke. Im Hintergrund des Zimmers, unter einem sechsflammigen Kerzenleuchter, saß ihr zehnjähriger Sohn Julius und las in einem Schulbuch.
»Was will der König von dir?« fragte Adele Wachter besorgt. »Um diese Zeit? Hat der Urban, dieser Kriecher, dich verraten und von deinen Worten berichtet? Schläge wirst du bekommen, Fritz, das mindeste wird das sein. Vielleicht wirft er dich ins Gefängnis, steckt dich unter die Soldaten … Mein Gott, warum hast du nicht den Mund gehalten …«
»Wir wollen sehen, Delchen.« Er gab seiner Frau einen Kuß auf die Augen, knöpfte den Rock zu und folgte dem Lakaien zum Arbeitskabinett des Königs.
Friedrich Wilhelm arbeitete wirklich und saß gebeugt über lange Listen, als die Türwache ihn ins Zimmer ließ. Einen tiefen Diener machte Wachter und wartete dann an der Tür, was nun kommen würde. Der König hob den Kopf und sah ihn an.
»Tret Er näher«, sagte er mit ruhiger Stimme. Sie klang zwar immer noch befehlend, hatte aber nicht den Unterton des Zorns. »Komm Er hierher zu mir, ganz nah … Fürchtet Er sich?«
»Nein, Majestät.«
»Das hat Er klug gesagt. Den König von Preußen soll man nicht fürchten, man soll ihn lieben. Auch wenn Er den Stock spürt – es ist nur zu seinem Guten. Er weiß, daß ich das Bernsteinzimmer dem Zaren zum Geschenke machte? Man hat es Ihm hinterbracht?!«
»Ja, Majestät.«
»Und, Wachter?«
»Ich bin traurig, Majestät.«
»Er weiß nicht, um was es geht, Er kennt nichts von
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