Das Bernsteinzimmer
Weste spritzte, machte ihn das nicht verlegen, nein, er schabte mit seinem Daumen den Saft von seinem Anzug und steckte dann den Daumen in den Mund.
»Es schmeckt vorzüglich, Madame«, sagte er zu Sophie Dorothea. »Der Fasan ist zart wie eine Mädchenbrust. Man beißt hinein und hat die Seligkeit im Mund.«
Er sagte das so laut, daß jeder am Tisch es verstand, auch die Prinzessin Wilhelmine, die den Kopf senkte und leise vor sich hinkicherte. Sie saß zu weit weg von ihrem Vater, sonst hätte Friedrich Wilhelm mit seinem Buchenstock über den Tisch gelangt und ihr einen Schlag versetzt.
Aber wütend war er allemal über die Bemerkung des Zaren, die man in einem Männerkreis machen kann, aber nicht vor den Damen, und da Friedrich Wilhelm nicht daran gewöhnt war, eine Wut zu unterdrücken, sondern ihr immer freien Lauf ließ, suchte er nach jemandem, der den Zorn auffing. Sein Blick traf auf einen Lakaien, der ihm gegenüber an der Wand stand und für das Wohlergehen des Generals Odojewskij zu sorgen hatte. Sein Weinglas war leer, Grund genug, den unaufmerksamen Lakaien zu strafen.
Schon beim Platznehmen an der Tafel hatte der Zar mit Verwunderung gesehen, daß zwei Pistolen neben dem Gedeck des Königs lagen, und er hatte schon fragen wollen, ob der König Angst vor einem Attentat während des Essens habe. Erstaunt sah Peter jetzt, wie der König aufsprang, eine Pistole ergriff, hochriß und auf den erbleichenden und zitternden Lakaien anlegte. »Er Coujon!« brüllte Friedrich Wilhelm. »Sieht nicht ein leeres Glas. Schläft im Stehen.«
Der Schuß krachte, aber aus dem Pistolenlauf zischte keine Kugel, sondern eine Wolke von groben Salzkristallen. Sie traf den armen Lakaien mitten ins Gesicht, riß kleine Löcher in die Haut, er wandte sich ab, rannte aus dem Saal und begann, hinter der Tür bitterlich zu weinen.
Der Zar blickte amüsiert über die Festgesellschaft. Seine Russen waren starr vor Staunen, die preußischen Herrschaften zeigten keinerlei Entsetzen – sie aßen ungerührt weiter, als sich Friedrich Wilhelm wieder setzte und die abgeschossene Pistole mit der Salzladung neben seinen Teller legte. Sie kennen das, dachte Peter. Eine der vielen Marotten des preußischen Königs – man sollte sie sich merken.
Fürst Netjajew und General Odojewskij wechselten einen schnellen Blick. Der Zar hatte wieder etwas gelernt, er lernte ja dauernd und überall, fällte Bäume, sägte Balken, schnitzte Elfenbein, schmiedete Hufeisen und zog sogar Zähne. Zurück in Petersburg würde er nun mit einer Salzpistole um sich schießen und seine große Freude haben, die Lakaien und Pagen hüpfen zu sehen.
Gott schütze Rußland … es könnte auch mal eine Kugel statt grobem Salz im Lauf stecken.
Nach dem Dessert erhob sich der König und löste die Tafel auf. Die Damen versanken in einem tiefen Knicks vor dem Zaren und verließen den Saal, die Herren blieben zurück, um unter Führung des Königs in das Rauchkabinett zu gehen, wo Branntwein, Bier und ungarischer Rotwein auf sie warteten. Nur die Mätresse Natalja Jemilianowna blieb auf einen Wink Peters zurück, alle Männerblicke auf ihr tiefes Dekolleté ziehend. Friedrich Wilhelm wölbte die Unterlippe vor. Einem Gast wie dem Zaren kann man nicht sagen, daß eine Hur nicht in den Kreis der Männer gehört. Nicht am Hof von Preußen.
»Ihr Salzgeschoß war beeindruckend –« sagte Peter zu Friedrich Wilhelm und lachte. Dabei legte er den Arm um die schmale, geschnürte Taille der Mätresse und klopfte ihr ungeniert auf den Hintern. »Es zeigt Ihre Macht über die Menschen, Ihre souveräne Stärke. Ich habe auch ein Zeichen, daß jeder versteht. Sehen Sie zu, liebster Freund …«
Er griff auf den Tisch, hob einen Silberteller hoch und faßte ihn mit beiden Händen. Und dann begann er, ohne Anstrengung, den Silberteller aufzurollen, so wie man ein Stück Papier zusammenrollt. Die Gasenkowa klatschte in die Hände, der König starrte etwas sauer auf den zerstörten Teller, und der Zar überreichte ihm die Silberrolle, als sei sie ein Zepter.
»Eine kleine Erinnerung«, lachte er dabei. »Begreifen Sie nun, warum meine kleine Natalja immer bei mir ist? Wo soll ich hin mit meiner Kraft?«
Er ist wirklich ein sibirischer Bauer, dachte Friedrich Wilhelm. Dagegen bin ich ein gerechter Hausvater. Potz Blitz und Kanonen … er ist gröber als ich. Das hat nun Fiekchen auch gesehen. Wie mich das beruhigt …
»Zu den Pfeifen und Branntwein!« kommandierte Friedrich
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