Das Bernsteinzimmer
es noch nicht fassen, mein Freund.« Peter stürzte auf Friedrich Wilhelm zu, wollte ihn an sich reißen und küssen, aber der König, der an die Bärenkräfte des Zaren dachte und keine Lust verspürte, sich vor lauter Zuneigung ein paar Rippenbrüche einzuhandeln, ließ seinen Buchenstock fallen und bückte sich. Dadurch entkam er elegant der schmerzhaften Umarmung und richtete sich erst wieder auf, als Peters erste Anwandlung von zärtlicher Dankbarkeit verflogen war.
»Gehen wir zu Tisch!« sagte der König. Dabei ließ er seinen Stock wippen. »Der Tokajer ist noch immer nicht bei uns angelangt. Ich werde diese Hundsfotte lehren, wie Wiesel zu rennen!«
»Was gibt es bei Tisch?« fragte der Zar.
»Weiß ich es? Das ist Sache der Königin. Mein Fiekchen hat einen guten Geschmack.«
»Ich bin mit wenig zufrieden. Eine Krautsuppe, Grütze, kalter Braten mit Gurken und gesalzenen Zitronen, etwas Gemüse, und zum Dessert nichts Süßes, das stört meinen Magen, sondern nur Obst und Käse aus Limburg.«
»Von all dem haben wir bestimmt nichts im Haus.« Friedrich Wilhelm lachte dröhnend. »Das hätte ich mal meinem Küchenmeister befehlen sollen, der Schlag hätte ihn getroffen. Wie sind wir uns gleich, Peter. Eine Kanne Bier schmeckt auch mir besser als dieser französische Champagner. Und auf einem Holzschemel sitze ich ebenso gern wie auf einem Polster. Meinem Hintern ist das gleich.«
Der Zar folgte dem König zur Tür und blieb dort noch einmal stehen. Ein langer, glänzender Blick flog über die goldschimmernden Wände des Bernsteinzimmers.
»Es gehört jetzt wirklich mir?« fragte er wie ein Junge, der überraschend beschenkt worden ist.
»Sie können mit ihm anstellen, was Sie wollen.«
»Unfaßbar. Das werde ich Ihnen nie vergessen, Friedrich Wilhelm.«
»Vergessen Sie nicht Vorpommern … das ist mir hundert Bernsteinzimmer wert, Peter.«
Sie verließen das Eckzimmer, stiegen die Treppe hinunter zur großen Halle und trafen dort auf die wartenden Gäste des Festmahls. Der König blieb auf der Treppe stehen und zupfte den Zaren am Ärmel.
»Da stehen sie, die mir die Haare vom Kopf fressen!« sagte er. »Sehen Sie sich die erwartungsvollen Fratzen an. Sie schmatzen schon in der Vorfreude. Ha, wer ist denn das?« Friedrich Wilhelms Blick blieb an einer Dame hängen, die mit tiefem Dekolleté und prächtigen Brüsten, mit langer Lockenperücke und seidenschimmernder Robe neben dem Fürsten Netjajew stand. Mit dem Finger zeigte er auf sie, und alle Blicke folgten der Richtung und starrten die Schönheit an. Der Zar lächelte breit. Sein Bart tanzte über der Oberlippe.
»Natalja Jemilianowna ist es«, sagte er unbefangen. »Meine Reisemätresse. Ich weiß, wie Sie darüber denken, Bruder, aber nicht nur der Magen sehnt sich nach Speise und Trank, nicht nur der Geist sucht das anregende Gespräch, das Herz stellt auch seine Forderungen. Natalja ist wie ein Steppensturm im Bett.«
»Mein Vater würde sich jetzt wie ein Narr benommen haben.« Der König stieg wuchtig die letzten Treppenstufen hinunter. »Ich dulde Ihre Natalja an meinem Tisch, weil sie in Ihrer Begleitung ist, Zar Peter.«
Das Festessen konnte beginnen.
Es wurde ein Festmahl, wie man es im Berliner Schloß so schnell nicht vergaß.
Der Zar saß rechts neben der Königin Sophie Dorothea, die Mätresse Natalja links von ihm, und neben ihr hatte der König sitzen sollen. Friedrich Wilhelm änderte sofort die Sitzordnung, nahm den Stuhl neben seinem Fiekchen und befahl dem Grafen von Bülow, sich neben die ›weißen Kugeln‹ zu setzen, wie er das Dekolleté der Gasenkowa bezeichnete. Ob dieser Wechsel Peter gefiel, war ihm gleichgültig. Hier war er der Hausherr, und das Haus des Königs von Preußen war ein sittliches Haus, ohne Dirnen, ohne Knabenliebhaber und ohne schleimige Kriecher. Neben Fiekchen hockte der Kronprinz Friedrich, unter sich einen kleinen Kissenberg, damit er über die geschmückte Tafel sehen konnte. An den Wänden aufgereiht standen die Lakaien, im Hintergrund spielte verhalten ein Streichorchester Musik von Händel, Scarlatti und Schütz. Man hatte am Hof einen Wink aus Petersburg bekommen: Bei offiziellen Essen liebte der Zar gern Musikbegleitung.
Peter I. war ein großer, ja grandioser Esser. Wie befürchtet, konnte er mit der ihm gereichten Serviette aus feinstem Damasttuch nichts anfangen, ging mit Messer und Gabel sehr ungeschickt um, vergoß Sauce und leckte seine Finger ab. Als Bratensaft auf seine
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