Das Bernsteinzimmer
Etage.«
Das Gebrüll und die Prügelei des Königs hatten die Flure und Treppen leergefegt. Allein stiegen sie hinauf zu dem Eckzimmer, Friedrich Wilhelm stieß die Tür auf, und dann stand der Zar in diesem Zimmer, das unvergleichlich war.
Die Sonne schien durch die beiden Fenster in der Ecke, das eine ging hinaus zum Lustgarten, das andere zur Schloßfreiheit. Wie geblendet von dem in allen Gelbtönen schimmernden Bernstein, von diesem Leuchten, das wirklich einer eingefangenen Sonne glich, von dem Flimmern der gebrochenen Strahlen, die von den Mosaiken und Figuren, den Rosetten und Akanthusranken, den plastischen Köpfen und den acht Masken der Sterbenden zurückgeworfen wurden, blieb Peter I. ergriffen stehen und tastete mit seinen Blicken Wandtafel nach Wandtafel ab. So einfach der Zar selbst lebte, so kunstbesessen war er, wenn es darum ging, sein geliebtes Petersburg zur schönsten Stadt der westlichen Welt auszubauen. Schon 1714, nachdem er das Bernsteinzimmer zwei Jahre zuvor zum erstenmal bewundert hatte, gründete er die Kunstkammer von Petersburg mit dem Erlaß, planmäßig Kunstwerke und Raritäten zu sammeln und sie in der Kunstkammer abzuliefern. Die unermeßlichen Schätze der Eremitage wurden herangetragen.
»Welch ein Wunder«, sagte Peter leise, als stehe er in einer Kirche. »Friedrich Wilhelm, ich beneide Sie um diesen Schatz. Es ist auch mein einziger Neid …«
»Es gefällt Ihnen, Peter?«
»Wäre ich allein, würde ich niederknien und die Wände küssen.«
»Wir haben noch vieles zu besprechen.« Friedrich Wilhelm, wie Peter kein Mann, der diplomatische Schnörkel flocht, sondern der mit Direktheit auf sein Ziel losging, legte die Hände auf den Rücken. Er beobachtete still, wie der Zar jetzt von Wandtafel zu Wandtafel ging, im ganzen waren es zwölf und aneinandergereiht auf einer Länge von 14 Metern, sich vorbeugte und die Bernsteinschnitzereien betrachtete, mit den Fingerkuppen geradezu zärtlich über die Mosaike und Bordüren strich und dabei immer wieder bewundernd den Kopf schüttelte. »Peter, ich brauche Vorpommern. Es gehört zu Preußen und nicht zu Schweden. Wie denken Sie über ein Bündnis Rußland-Preußen?«
»Mein Wunsch seit vier Jahren.« Peter richtete sich auf und drehte sich zu dem König herum. »Ihr Vater ließ mich 1712 abblitzen, als ich ihn für ein Bündnis gewinnen wollte. ›Ich will nicht schießen, ich will tanzen‹, hat er mir ins Gesicht gelacht.«
»Und führte Preußen an den Rand der Pleite. Peter, ich bin dabei, eine andere Zeit aufzubauen. Ein starkes, unbesiegbares Heer, Zucht und Ordnung, Arbeitswillen und Vaterlandsliebe, Gehorsam bis in den Tod … der Mensch muß erzogen werden, sonst bleibt er ein blökendes Schaf! Die Zukunft verlangt Stärke.«
»Ein Bündnis zwischen Preußen und Rußland wird unsere Freundschaft vertiefen.« Der Zar zeichnete mit seiner Dubina eine grobe Karte in den Staub, der die Dielen bedeckte. Nur einmal in der Woche wurde der Boden gereinigt und nicht jeden Tag zweimal wie die anderen Räume. Wer betrat denn schon das Bernsteinzimmer oben im dritten Stock? »Das ist Westrußland, Ostpreußen, Polen, Pommern, Brandenburg, Preußen.« Peter tippte auf eine Stelle der Karte im Staub und nickte mehrmals. »Das ist Vorpommern, Friedrich Wilhelm. Ich habe kein Interesse daran … natürlich muß es zu Preußen gehören. Wir müssen nur die Schweden besiegen und wegjagen. Wir beide schaffen es.«
»Ich danke Ihnen, Peter.« Einen Augenblick dachte der König an Sophie Dorothea, der er genau das Gegenteil erzählt hatte. Aber dann wischte er die Gedanken weg. Weiber und Politik! Kinder sollen sie kriegen und ihre Männer erfreuen, das ist ihre Aufgabe. Über das Schicksal der Völker sollen Männer entscheiden. Männer wie Peter und ich. Zwei richtige Kerle! »Nehmen Sie das Bernsteinzimmer mit.«
»Ein schlechter Scherz, Friedrich Wilhelm!«
»Kein Scherz. Ich schenke es Ihnen.«
»Das kann ich nicht annehmen.« Der Zar zeigte sich verwirrt, ein seltener Anblick, den nur wenige kannten. Immer war er der Erste, der Beste, der Klügste und der Tapferste, der Alleskönner und Unwiderstehlichste. »Nein, das kann ich nicht. Ein Kunstwerk, das nicht seinesgleichen hat –«
»Vorpommern ist mir wertvoller und wichtiger.« Der König schlug mit seinem Buchenstock gegen die Knöpfe seiner Gamaschen. »Ich lasse es ausbauen und bis an die Grenze bei Memel bringen. Dort können es Ihre Leute übernehmen.«
»Ich kann
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