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Das Bernsteinzimmer

Das Bernsteinzimmer

Titel: Das Bernsteinzimmer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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Bein?«
    Wachter hob die Schultern. Bei einem Besuch der Hoftischlerei war er auf dem vereisten Boden ausgeglitten und so unglücklich gefallen, daß sein linkes Bein zu Bruch ging. Der Militärarzt der Garde, vor dem sogar die Langen Kerls zitterten, hatte ihn behandelt, das Bein zwischen zwei Bretter gepreßt und dann bandagiert. Auf einer Krücke humpelte er herum, oft mit schmerzverzerrtem Gesicht, und der Medicus hatte ihm bereits angekündigt, daß er vielleicht für immer hinken würde, von jetzt ab ein Invalide, ein komplizierter Bruch sei's, der Knochen würde schief wieder zusammenwachsen, ein kürzeres linkes Bein würde bleiben.
    »Es ist zu ertragen, Majestät«, antwortete Wachter.
    »Sei Er froh, daß Er nicht nur ein Bein hat wie viele meiner Soldaten nach dem Kampf. Und das Bernsteinzimmer stört das nicht, und Kinder macht man nicht mit den Beinen! Er ist immer noch ein richtiger Kerl.«
    Adele Wachter hatte in dieser Zeit viel eingekauft. Die Reisekisten waren gefüllt, und trotzdem hatte sie noch 70 Taler übrig. Das Söhnchen Julius studierte Karten, Kupferstiche und Beschreibungen von Petersburg und Rußland und schlug sich mit seinen Spielgefährten herum, die ihn bereits ›den Russen‹ nannten. Adele war es jetzt viel übel, sie erbrach sich oft, das Wachsen des zweiten Kindes in ihrem Leib machte ihr zu schaffen. Sie aß viele Äpfel und in Zuckersirup eingelegte Kirschen, und die Hebamme, die weise Frau, sah sie forschend an und sagte ein paarmal: »Ein Mädchen wird's. Jawohl, ein Mädchen. So wie Ihr ausseht, Wachterin, muß es ein Mädchen werden.«
    Es wurde April.
    Der Bauch der Wachterin hatte sich gerundet, nun sah man deutlich ihren Zustand, und Wachter humpelte ohne Stock und Beinstützen herum, er hinkte wirklich etwas, aber war mit sich und seinem Körper zufrieden, nachdem ihm der Garde-Medicus mitgeteilt hatte: »Gute Knochen hat Er. Und ein gutes Heilfleisch. Er ist früher wieder unter den Gesunden, als ich dachte.«
    Bei schönem Frühlingswetter knirschten die Fuhrwerke über den Hof des Berliner Stadtschlosses. Achtzehn Kisten waren gepackt worden, große, massive Behälter, gefüllt mit Sägespänen und Decken und Daunen, darin die Bernsteinwandtafeln, die Ornamente, Figuren, Masken, Gesimse und Sockel. Die kostbarste Fracht, die jemals von Land zu Land transportiert wurde. Den achtzehn Fuhrwerken waren noch zwei Kaleschen beigeordnet, in denen der Hausrat der Wachters verstaut war und in denen die schwangere Wachterin saß, der Junge Julius und das Hündchen Moritz. Auch er, der zur Familie seit sechs Jahren gehörte, mußte mit nach Petersburg, eine abenteuerliche Mischung aus Spitz, Windspiel und Hühnerhund und mit wachen, tatsächlich blauen Augen. Ein braun-weiß geflecktes Fell hatte er, und seine größte Tat war bisher gewesen, daß er den Feldwebel Hans Hoppel während des Exerzierens in die rechte Wade biß. Nur mit Mühe hatte man Hoppel davon abhalten können, Moritz mit dem Säbel in zwei Teile zu spalten.
    Zum letztenmal stand Wachter seinem König gegenüber und hatte, er wollte es nicht, aber er konnte es nicht bezwingen, wieder Tränen in den Augen.
    »Wachter, Er heult zuviel!« sagte der König streng. »Im Himmel sehe ich euch alle wieder … meine Langen Kerls und Ihn! Mach Er's gut, sei Er ein braver Diener des Zaren, pflege Er mir das Bernsteinzimmer, wie Er geschworen, und denke Er daran, daß Gott seine Hand über Ihn hält.«
    Dann gab er Wachter einen leichten, väterlichen Klaps mit dem Buchenstock auf die linke Schulter, ein Beweis seiner Güte, den Wachter wie einen Ritterschlag empfing.
    »Gott schütze Sie, Majestät«, sagte er mit schwerer Zunge, verneigte sich tief und verließ das Arbeitskabinett des Königs.
    Eine Stunde später war die Kolonne auf dem Schloßhof zur Abfahrt bereit. Die Frühlingssonne bestrahlte sie mit goldenem Glanz, die 108 Pferde – vor jedem Fuhrwerk also sechs kräftige, hohe Pferde, bestens im Futter, stark und ausdauernd, erprobt beim Ziehen der Kanonen – wieherten wie zum Abschied. Die vier Pferde der Kutsche tänzelten in ihrem Geschirr, und Friedrich Theodor Wachter saß im Sattel eines Apfelschimmels, umritt noch einmal die Kolonne und gab dann das Handzeichen zum Abmarsch.
    Friedrich Wilhelm stand am Fenster seines Kabinetts und blickte, auf seinen Stock gestützt, dem Abzug der Gespanne zu. Wird mir das Vorpommern bringen? dachte er. Werde ich Preußen zum stärksten Staate in Europa machen? Lohnt

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