Das Bernsteinzimmer
Fluch wird sie zerstören! Ein Wachter hat ab heute die ewige Pflicht, Söhne zu zeugen und das Bernsteinzimmer zu pflegen. Und jetzt geh Er, ich habe genug mit Ihm geschwatzt …«
»Ist eine Frage noch erlaubt, Majestät?«
»Was?«
»Wann wird das Zimmer ausgebaut und nach Petersburg gebracht?«
»Noch in diesem Jahr, Wachter. Sonst im Januar des nächsten Jahres. Beeil Er sich also … Er hat lang genug auf der faulen Haut gelegen. Provozier Er mich nicht, ihn zu züchtigen.«
Wachter verbeugte sich tief, wischte sich dabei die Tränen aus den Augen und verließ das Arbeitskabinett. Zufrieden kehrte Friedrich Wilhelm zu seinem Tisch zurück, hockte sich auf den einfachen, rohen Holzschemel und griff nach einer Pfeife.
Der Ausbau des Bernsteinzimmers, das Abnehmen der schweren geschnitzten Vertäfelung, der Ornamente, Figuren, Köpfe und Mosaiken von den Wänden, brauchte mehr Zeit, als der König angenommen hatte. Nur Spezialisten durften das Zimmer zerlegen, und die fand man nicht in Berlin. Aus Danzig und Königsberg forderte Wachter Fachleute an, bekam dreimal Krach mit dem König, der herumschrie, alles sei zu teuer, die Reisen, die Verpflegung, die Gehälter, hätte er das vorher gewußt, hätte er das verdammte Sonnenzimmer von den Wänden gesprengt, mit einigen guten Ladungen Pulver. Und als Wachter es wagte, zu sagen: »So ist es mit teuren Geschenken, Majestät«, bekam er den Buchenstock zu spüren, aber es tat ihm nicht weh … seine Freude, dem König das gesagt zu haben, überdeckte den Schmerz.
Dreimal stieg der König auch hinauf in die dritte Etage, stellte sich in die Tür und sah mit kritischen Augen zu, wie die Fachleute aus Königsberg vorsichtig das Bernsteinzimmer auseinandernahmen. Es gab Wandbilder aus geschnitztem Bernstein, für deren unversehrte Ablösung man einen halben Tag brauchte. Millimeter um Millimeter mußte man sie vom Untergrund abheben, denn man hatte schlechtes Holz genommen, es war hinter dem Kunstwerk von Schimmel befallen, zerbröselte und gab keinen Halt mehr. Alles, was man von den Wänden löste, wurde auf massive, gut mit Öl getränkte Holztafeln neu verlegt, haltbar für Jahrhunderte, wie Wachter sagte, wenn man das Zimmer pflegte.
»Dafür sind die Wachters da!« sagte Friedrich Wilhelm. »Der Teufel hole den Wachter, der seine Pflicht vergißt! Und wenn's in fünfhundert Jahren ist! Wann ist Er fertig, Halunke?!«
»Ich weiß nicht, Majestät. In diesem Jahre nicht mehr.«
»Ist sein Weib wenigstens schwanger?«
»Adele weiß es nicht … die Zeit ist noch zu kurz.«
»Aber beschlafen hat Er sie?!«
»Wie Majestät befohlen haben.«
»Dann mach er weiter so … mit dem Bernsteinzimmer und dem Kindermachen. Wachter, Er soll mir Erfolge zeigen, keine Vertröstungen …«
Drei Tage vor Weihnachten wußte es Adele Wachter. Die Hebamme hatte sie untersucht und bestätigt, daß sie schwanger sei. Friedrich Theodor Wachter meldete es sofort dem König.
»Jetzt hoffe Er, daß es ein kleiner Kerl wird«, sagte der König wohlwollend. »Wird's ein Mädchen, muß Er weitermachen, Wachter. So lange, bis er zwei Jungen in Reserve hat! Laß er bloß nicht nach mit seinen Bemühungen –«
»Es ist mir keine Mühe.«
»Das will ich meinen!« Friedrich Wilhelm lachte donnernd. »Ein richtiger Kerl hat Ausdauer wie ein Wolf im Winter.«
Weniger vergnüglich war Adele Wachter. Nicht, daß es ihr nicht gefiel, noch mehrmals Mutter werden zu müssen, in Berlin hätte sie den Auftrag des Königs fleißig erfüllt … aber in Petersburg? Bei den Russen? Bei diesen Wilden, wie alle sie nannten? Die rohe Zwiebeln fraßen und bei Tische furzten, auf gemauerten Öfen schliefen, wenn der Winter kam, und oben auf der Ofenplattform, im Beisein der Kinder, neue Kinder zeugten. Aljoscha, rück zur Wand, Mütterchen muß die Beine breiter machen … O Gott, da soll man nun für immer leben?! Muß das sein?
Und Wachter hatte von seinem Generationenschwur erzählt und zum Schluß mit fester Stimme gesagt:
»Ja, es muß sein, Delchen. Alle auf dieser Erde sind Menschen, ob sie weiß sind oder ein Mohr, Schlitzaugen haben oder platte Nasen … und wenn auch wir Menschen bleiben, wird man uns überall lieben und wie Bruder und Schwester aufnehmen. Petersburg … die schönste Stadt nach Paris. Sie wird unsere Heimat werden, die Heimat aller unserer Nachkommen, solange das Bernsteinzimmer dort besteht. Laß uns überzeugt sein, daß wir glückliche Menschen sind. Du wirst auch
Weitere Kostenlose Bücher