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Das Bernsteinzimmer

Das Bernsteinzimmer

Titel: Das Bernsteinzimmer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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Zarewitsch.
    »Behandelt Alexej wie jeden meiner Untertanen!« rief der Zar in den Saal. »Behandelt ihn in der erforderlichen Form und mit der notwendigen Strenge.«
    Alle im Saal erstarrten, jeder wußte, was diese Aufforderung bedeutete: Die Folter! Die Folter für den Zarewitsch!
    Am 19. Juni war die erste Befragung. In einer Kalesche, begleitet von seinem Günstling Fürst Menschikow, fuhr der Zar hinüber zur Peter-und-Pauls-Festung und stieg hinab in die eigens für den Zarewitsch eingerichtete Folterkammer. An die Wand stellte er sich, gab selbst den Wink, und dann führten die Knechte den Zarewitsch herein, mit entblößtem Oberkörper, ein langaufgeschossenes bleiches Kerlchen, das beim Anblick der Foltergeräte und seines Vaters zu weinen begann. Sofort ergriffen ihn vier geübte Henker, hoben ihn hoch, schnallten ihn an den Wippgalgen, seine Füße berührten nicht mehr den Boden, an ausgerenkten und verdrehten Armen hing er frei in der Luft. Und dann trat der Henkersknecht heran, in der Hand die Peitsche aus nicht gegerbter, sondern in Milch gekochter Kuhhaut, so hart und ins Fleisch schneidend wie Stahl, sah den Zaren an, und der Zar nickte.
    Schon beim ersten Schlag, der die Rückenhaut tief aufriß, schrie Alexej fürchterlich. Beim zweiten Schlag bäumte sich der Körper auf, verkrümmte sich, beim dritten Schlag hingen die ersten Fleischfetzen vom Rücken.
    Ein Wink … die Befragung begann. Alexej, unfähig zu sprechen, schüttelte auf alle Fragen den Kopf. Hatte der Kaiser von Österreich ihm Truppen angeboten? Sollten die Truppen in Mecklenburg rebellieren? Wollte er an deren Spitze nach Petersburg marschieren und den Zaren stürzen? Wieviel Geld hatte er von Österreich bekommen?
    Der Zarewitsch schwieg.
    Fünfundzwanzig Knutenschläge prasselten auf ihn nieder, zerfetzten seinen Rücken bis auf die Knochen, das Blut lief in Strömen an ihm herunter, und immer hatte der Zar bei einem fragenden Blick des Henkers dumpf gesagt: »Weitermachen!«
    Alexej gestand alles, brüllte seine Schuld heraus, schluchzte in den Schlagpausen, bettelte um Gnade, und schrie gellend wieder auf, wenn ein neuer Knutenschlag ihn traf.
    Nach dem fünfundzwanzigsten Schlag trat der Arzt an den Zaren heran und empfahl, die Befragung zu unterbrechen. Dort hing kein denkender Mensch mehr.
    »Er sagt nicht alles! Er lügt noch immer!« sagte Peter ernst. »Henker, mach Er weiter …«
    Noch einmal klatschten fünfzehn Schläge mit der in Milch gekochten Kuhhaut auf den zerfetzten Rücken des Zarewitsch. Die tiefen Wunden bildeten schon eine zusammenhängende Masse heruntergerissenen Fleisches, und jetzt, beim vierzigsten Schlag, brüllte Alexej heraus, was Peter erwartet hatte:
    »Ja! Ja! Ja! Ich wünschte mir den Tod meines Vater!«
    Der Zar stieß sich von der Mauer ab und verließ den Folterraum. Der Zarewitsch wurde vom Wippgalgen losgebunden, brach auf dem Boden zusammen und wurde hinausgetragen. Der Arzt folgte ihm, um die Wunden zu versorgen. Er ahnte, daß dies nicht die letzte Befragung gewesen war.
    In der Nacht zum 20. Juni sah Wachter von seinem Schlafzimmerfenster aus Licht im Bernsteinzimmer. Sofort zog er sich an und rannte hinüber zum Winterpalais, wo ihn die Wachen ohne Fragen einließen. Jeder kannte ihn jetzt und seine Vollmachten.
    Der Zar saß wieder in seinem Sessel, hatte die Hände gefaltet und starrte, weit zurückgelehnt, auf die aus Bernstein geschnitzte Maske des sterbenden Kriegers, die Schlüter entworfen haben soll. Ein Gesicht, verzerrt im Schmerz und mit aufgerissenem Mund. Die letzte Sekunde vor der Ewigkeit.
    »Was will Er?« knurrte der Zar. »Hinaus mit Ihm!«
    »Ich habe Licht gesehen, Majestät. Meine Pflicht ist es …«
    »Pflicht! Fjodor Fjodorowitsch, es gibt Pflichten, vor denen man sterben möchte.« Der Zar schloß die Augen, drehte den Kopf zu Wachter und öffnete sie dann wieder. Sein Blick war elend und voll Qual. »Was täte Er, wenn Sein Sohn wünschte, der Vater wäre tot?«
    »Ich weiß es nicht, Majestät. Traurig würde ich sein.«
    »Aber der Wunsch bleibt! Und es werden Mördergesellen gesucht, und Verzeihung wird mit Mord gedankt. Mein Freund, der Zar hat keine andere Wahl … er muß richten. Richten nach dem Gesetz und vor Gott. Raus! Laß Er mich allein! Ich kann jetzt keinen Menschen sehen … auch Ihn nicht.«
    Leise verließ Wachter das Bernsteinzimmer, setzte sich auf einen Hocker in eine Ecke des Flures und wartete. Er wußte um die Qual des Zaren … auf

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