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Das Bernsteinzimmer

Das Bernsteinzimmer

Titel: Das Bernsteinzimmer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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den Prozeß gegen den Zarewitsch starrte alle Welt.
    Fast eine Stunde saß Wachter auf einem Hocker vor der Tür des Bernsteinzimmers, wie ein Hund, der seinen Herrn bewacht. Als Peter I. endlich aus dem Kabinett kam, blieb er vor Wachter stehen. Gerötete Augen hatte der Zar, als habe er lange geweint, und um seinen Mund lag ein Zug größter Resignation.
    »Er ist ja noch immer hier!« sagte er mit rauher Stimme. Auch sie hatte gelitten, war fast tonlos vor Trauer und Bedrückung.
    »Solange jemand im Bernsteinzimmer ist, bin auch ich vorhanden, Majestät.«
    »Und wenn ich Ihm befehle: Geh Er weg!?«
    »Dann muß ich Majestät an meinen Schwur in ihre Hand erinnern: Laß Er das Bernsteinzimmer nie allein …«
    »Ein merkwürdiger Mann ist Er, Fjodor Fjodorowitsch. Hat keine Angst vor dem Zaren! Als einziger von der ganzen Brut, die mich umgibt. Nur winselnde Hunde sehe ich, Tag um Tag, nur schleimige Kümmerlinge! Väterchen, sagen sie zu mir … und denken dabei: Wann stirbt er endlich?! Warum überlebt er alle seine Krankheiten? Warum steht er immer wieder auf von seinem Bett, stärker als vorher? Auch der Zarewitsch denkt so, Wachterowskij! Den Tod seines Vaters wünscht er. Dem österreichischen Kaiser hätte er Geld bezahlt, wenn dieser ihm eine Armee gegeben hätte, mich zu vernichten! Mein eigener Sohn ist ein Lump, ein Verräter, ein Mörder im Geiste, ein Zerstörer Rußlands. Mein Sohn, der Säufer und Hurer, der Knecht seiner mongolischen Dirne Afrosinja, der von Kriechern umschwänzelte Schwächling … er wollte Zar von Rußland werden! Was wäre aus meinem schönen, reichen, fleißigen Land geworden? Fjodor Fjodorowitsch, wie würde Er über einen solchen Sohn urteilen?«
    »Mit Gnade, Majestät. Als Mönch in einem einsamen Kloster würde ich ihn büßen lassen. Ihn in die Vergessenheit versenken.«
    »Er denkt wie die Zarin.« Peter lehnte sich an die Wand und starrte blicklos in die weite Ferne. »Gnade! Kennt man Gnade mir gegenüber? Ich weiß noch nicht, was ich tue. Geh Er zu Seiner Frau, Wachterowskij. Ich tu das gleiche. Und denke Er nicht, sein Zar sei ein Teufel …«
    Am 24. Juni 1718, an einem warmen Abend, trat das Gericht der 127 Würdenträger des ganzen Reiches zum letzten Mal zusammen, hörte sich die Geständnisse des Zarewitsch an und las die Zeilen, die Alexej unter größten Qualen, ein Wrack nach den Knutenschlägen, selbst geschrieben hatte, und die endeten mit den Worten: »… Ich hätte an nichts gespart, um meinen Willen durchzusetzen …« Das hieß: den Tod des Zaren.
    Nach kurzer Beratung, während der Zar die Richter mit bösem Blick anstarrte, fällten sie das Urteil, das man von ihnen erwartete, einstimmig, ohne den geringsten Versuch, einen mildernden Umstand zu suchen im Wesen und in den Ausschweifungen des Zarewitsch. Nicht einer wagte es, sich dem stillen Wunsch des Zaren zu widersetzen. Das Urteil lautete:
    24. Juni 1718. Wir, die Unterzeichneten, Minister, Senatoren, Funktionäre, Offiziere und Zivilpersonen, versammelt im Saal des Senats von St. Petersburg, haben nach reiflicher Überlegung und inspiriert durch unseren christlichen Glauben kraft der heiligen Gebote des Alten und Neuen Testaments, der heiligen Briefe der Evangelisten und der Apostel, der Regeln und Satzungen der Kirchenväter und Lehrer, des Rechts der römischen und griechischen Kaiser und jenes der anderen christlichen Herrscher wie auch kraft des russischen Rechts einstimmig und ohne Widerrede entschieden, daß der Zarewitsch Alexej für seine Schuld und seinen Aufruhr gegen seinen Herrscher und Vater ebensosehr als Sohn wie als Untertan Seiner Majestät den Tod verdient …
    Mit betrübtem Herzen und Tränen in den Augen – wie es später hieß – habe man den Zarewitsch zum Tode verurteilen müssen wegen einer Verschwörung, wie es sie ihresgleichen kaum jemals auf der Welt gegeben hat, in Verbindung mit dem Plan zu einem abscheulichen doppelten Vatermord – gegen den Vater seines Landes und seinen leiblichen Vater.
    Bei der Verkündung des Urteils fiel der Zarewitsch ohnmächtig um und mußte weggetragen werden.
    Der Zar ließ sich fast zwei Tage Zeit, das Urteil zu unterschreiben. Er schloß sich wieder in das Bernsteinzimmer ein, wanderte von Wand zu Wand, drückte die heiße Stirn gegen den kühlen Sonnenstein, betete und schlug sich selbst mit geballten Fäusten an die breite Brust. Tod durch den Henker oder Begnadigung zu einem Mönchsleben in Sibirien, das lebenslängliches

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