Das Bernsteinzimmer
mehr?«
Sie sprachen deutsch miteinander, und trotz der zwölf Jahre, die zwischen der Auswanderung und der Rückkehr des Oberstleutnants lagen, hörte man noch den schwäbischen Zungenschlag heraus. »Ich habe Ihnen nichts zu sagen …«
»Das mag sein … aber Sie wissen mehr.« Wachter griff in seine Rocktasche. Der viel zu weite Anzug schlotterte um seinen Körper. Ein Papier holte er heraus, das in vier Sprachen abgefaßt war … in deutsch, englisch, französisch und russisch. Es bat alle Besatzungsmächte, dem Michail Wachterowskij bei der Suche nach dem Bernsteinzimmer mit allen Mitteln behilflich zu sein. Dann folgte eine Beschreibung, was das Bernsteinzimmer überhaupt war und daß es die Nazis aus Puschkin gestohlen hatten. Der US-Oberstleutnant winkte ab und nahm das Schreiben gar nicht in die Hand.
»Ich kenne es ja«, sagte er. »Sie haben mir's schon zweimal gezeigt.« Er zögerte und fügte dann hinzu: »Wenden Sie sich an das OSS beim Stab der 3. Armee. Verlangen Sie Captain Fred Silverman. Aber verraten Sie bloß nicht, von wem Sie den Tip bekommen haben! Ehrenwort.«
»Sie haben es.« Wachter drückte ihm die Hand. »Und was weiß dieser Silverman?«
»Das müssen Sie ihn selbst fragen. Viel Glück.«
»Auch das muß ich suchen.« Wachters Antwort klang wie ein Hilferuf. Er legte den linken, bei bestimmten Bewegungen noch immer schmerzenden Arm um Janas Schulter und ging hinaus.
Am nächsten Morgen verließen sie Friedrichroda mit einem zur Verfügung gestellten Beutewagen, in einem alten Adler, in dessen Türen noch Maschinengewehrkugeln steckten.
Es war ein weiter Weg, bis sie Captain Silverman fanden.
Da ihnen, trotz des überall vorgezeigten Schreibens, keiner der US-Kommandeure sagen wollte, wo sich gegenwärtig das Hauptquartier der 3. US-Armee und General Patton befand, schickte man sie nach Nürnberg zu einer Dienststelle des Geheimdienstes. In der fast völlig zerstörten Stadt bekamen sie ein Barackenzimmer bei einer amerikanischen Pioniereinheit, wurden von der Kompanieküche verpflegt und warteten. Viermal wehrte Jana Petrowna in diesen Tagen zudringliche Soldaten ab. Ein schwarzer GI versuchte sogar, erst durchs Fenster zu klettern und nachher die Tür aufzubrechen, aber das bekam ihm nicht gut, denn Jana hatte seit Wochen immer ein Stück Eisenrohr bei sich, wie man es für eine Wasserleitung verwendet. Sie hatte es durchbohren lassen, hatte einen Strick durch das Loch gezogen und trug das Eisenrohr jetzt am Gürtel ihres Kleides.
Es war schon oft nützlich gewesen, so wie auch jetzt, wo der liebestolle GI nach Aufbrechen der Tür schon beim ersten Schritt über die Schwelle einen so kräftigen Hieb über den Kopf bekam, daß er lautlos zu Boden ging und besinnungslos blieb, bis ihn zwei MPs abholten.
»Ich möchte den Kompaniechef sprechen!« rief Wachter erregt. »Das ist das viertemal, daß wir belästigt werden. Ist das etwa das sogenannte freie amerikanische Leben?«
Die MPs verstanden kein Deutsch. Sie starrten Jana nur an und grinsten anzüglich.
»Sei still, Väterchen«, sagte sie da auf russisch. »Was bringt's? Es ist eine böse Zeit, können wir sie ändern? Sieh doch, ich kann mich wehren.«
Zwei Wochen warteten sie in Nürnberg. Zwei verlorene Wochen, wie Wachter meinte. Durch die zerstörten Straßen gingen sie, sahen Frauen und Kinder in den Ruinen wühlen und Ziegelsteine abklopfen, ob man sie noch verwenden konnte.
Keller wurden ausgegraben, zerborstene Wände geflickt und die mit Trümmern verstopften Straßen freigeschaufelt. An den Lebensmittelausgabestellen stauten sich die Menschenschlangen ebenso wie an den Hydranten, wo man eimerweise das Wasser holen konnte. Die deutschen Verwaltungsdienststellen hatten unter amerikanischer Aufsicht wieder mit der Arbeit begonnen und versuchten, Ordnung in das Chaos zu bringen. Der Krieg war ja nun seit dem 9. Mai zu Ende, es gab nicht mehr Freund und Feind, sondern nur noch Sieger und Besiegte. Und überall, am Bahnhof, auf den Plätzen, am Fuße der Burg, an der alten Stadtmauer und den Türmen begann, zunächst zaghaft, der Schwarzmarkt. Endlich, in der dritten Woche, kam ein Offizier zu Wachter und Jana und lehnte sich in den Türrahmen. In einem gebrochenen Deutsch sagte er:
»Telefon … hin und her … Jetzt alles okay! Captain Silverman ist in Austria. In Salzburg. Okay?«
Er grüßte und verließ das Zimmer.
»In Salzburg«, sagte Wachter und setzte sich an den Tisch. »Jana, wir müssen nach
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