Das Bernsteinzimmer
knapp, dachte er. Larry hat ein empfindsames Gemüt, und da gibt es leicht Kurzschlüsse.
»Wenn sie ihn finden, sagt jeder: Das war der deutsche ›Werwolf‹. Und uns haben sie gekidnappt oder auch gekillt und besser vergraben. Wir werden von der Liste gestrichen. Köpfchen muß man haben, Larry.«
»Du bist ein Gangster, Joe«, sagte Larry leise. »Jawohl, ein Gangster. Jetzt weiß ich es. Und die Millionen von deinem Vater … schmutziges Geld. Heißt ihr überhaupt Williams?«
Joe war weit davon entfernt, beleidigt zu sein. Er gab sogar eine Antwort.
»Wir heißen jetzt Williams, okay? Mein Daddy war ein cleverer Bursche, nicht einen Verdacht, nicht eine Verhaftung, nicht eine Anklage. Wie auch? Er hat mit einer lautlos arbeitenden Organisation ausgesucht hübsche Mädchen an südamerikanische Puffs verkauft. Nie in die USA. Engländerinnen, Schwedinnen, Finninnen, wundervolle Püppchen aus Korea, den Philippinen, Hongkong, Singapur und Macao, braune Schönheiten von Samoa, Tahiti, Fidji und den Cook-Inseln … Larry, die gingen weg wie frischer Schokoladenkuchen. Mit fünfzig setzte sich Daddy zur Ruhe und ließ sich als Wohltäter bis hinauf zum Senat in Washington feiern.« Williams lächelte Brooks breit an. »Das ist doch ein ehrliches Geschäft, Larry, der eine handelt mit Maschinen oder Apfelsinen, der andere mit Fötzchen …«
»Und du bist ein eiskalter Killer!«
»Im Augenblick bist du es, Larry-Boy. Los, steig ein! Wir bringen Noahs Wagen dorthin, wo sie ihn finden werden.«
Sie fuhren durch das Land, stellten Noahs Truck hinter einer einsam am Feldrand stehenden, leeren, verfallenen Scheune ab und kehrten dann zum Taufstein zurück.
Zwei Monate später, im Juni, als der Krieg schon sechs Wochen zu Ende war, meldeten Einwohner von Kronberg im Taunus, daß auf einer Waldschneise seit etwa drei Wochen zwei amerikanische Lastwagen parkten. Ohne Fahrer. Das wäre doch merkwürdig. Ein Jeep mit vier MPs raste zur Fundstelle, sie untersuchten die Trucks, stellten erstaunt fest, daß die Tanks noch halb voll waren, und fuhren sie nach Frankfurt zum Hauptquartier. Dort stellte man anhand der Nummern sehr schnell fest, daß sie zu einer Transportstaffel der 3. Armee gehört hatten und in der Liste der Verluste am 16. April als vermißt eingetragen waren. Bemerkung: Voraussichtlich Überfall des ›Werwolfs‹. Die Sache deckte sich mit der Meldung über den erschossenen GI Noah Rawlings und dessen später aufgefundenen Wagen.
Der Fall wurde abgehakt und mit einer Randbemerkung geschlossen. Joe Williams und Larry Brooks waren zwar verschwunden, aber nach Lage der Dinge konnten sie nicht mehr leben. Der zuständige Offizier in der 3. Armee erklärte sie für tot und ließ die Angehörigen verständigen.
Larrys Eltern weinten, obgleich sich Larry in den letzten Jahren kaum bei ihnen hatte sehen lassen. Der alte Williams ließ auf dem Friedhof von Whitesands eine große Marmorsäule zum Gedächtnis an seinen Sohn errichten und mit militärischen Ehren und Salutschüssen einweihen. Sein Ansehen als Vater eines Helden stieg noch mehr. Nur Mrs. Williams, die zeit ihres Lebens glaubte, ihr Mann handele wirklich mit Baumwolle und Erdnüssen, nur ihr Sohn sei das große Sorgenkind, sagte tapfer:
»Wer weiß, wofür es gut ist. Joe war ein so ganz anderer Mensch als wir …«
Um diese Zeit lebten Larry und Joe mit gekauften gefälschten Pässen sorglos in Frankfurt, bauten in der Moselstraße ein vormals halbzerstörtes Haus auf und gründeten ein Striptease-Lokal mit Bar und drei Etagen Einzelzimmer. Es war ein Edelbordell, eines der ersten nach Kriegsende und deshalb eine Goldgrube. Vor allem die GIs standen Schlange, die Deutschen hatten kaum Geld dafür, denn ein anständiger Fick hatte den Gegenwert von einem Pfund Kaffee, und das kostete 1947 pure 500 Reichsmark. Dafür kauften sich die Deutschen lieber Butter, Speck, einen Braten oder eben Kaffee. Die Dollars aber, welche die GIs den Mädchen zwischen die Titten drückten, waren hartes, gutes Geld.
Ende 1947 funktionierte der Postverkehr mit den USA wieder reibungslos. Die besiegten ›Krauts‹ erwiesen sich nach einer Entnazifizierungswelle als durchaus ernstzunehmende Mitmenschen, während man die ehemaligen Kriegsverbündeten, die Russen, nur noch mit der Zange anpacken wollte, was den Mitsiegern schweres Kopfzerbrechen bescherte und Churchill zu der Bemerkung hinreißen ließ: »Wir haben die falsche Kuh geschlachtet.« Genau am 10. November
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