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Das Bernsteinzimmer

Das Bernsteinzimmer

Titel: Das Bernsteinzimmer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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Jahr.«
    »Dann gehen wir, Töchterchen.« Wachter blickte wieder hinüber zu den Fenstern des ehemaligen Bernsteinzimmers. Neue Scheiben hatte man eingesetzt und auch die Fensterrahmen erneuert. In die Zimmer stach darum die Sonne wie in offene Höhlen. Wachter gefiel das; auch der neue Verwalter schien das Bernsteinzimmer sehr zu lieben und hatte es als einen der ersten Säle geschützt. Und als sie die Schloßhalle betraten und der Major zurückgeblieben war, sagte Wachter: »Verraten wir dem neuen Verwalter nicht, wer wir sind, Janaschka. Reden lassen wir ihn, erklären soll er uns das Bernsteinzimmer, und wenn er fertig ist, sage ich zu ihm: Genosse, das haben Sie falsch erzählt und das und das haben Sie vergessen. Früher war hier ein Michael Wachter, der wußte mehr … Ein fröhliches Stündchen wird's werden.«
    »Und nachher willst du nicht sagen, wer du bist, Väterchen?«
    »Nein, Janinka. Erst fahren wir weiter nach Leningrad und suchen die Menschen, die Nikolaj gekannt haben. Vielleicht können sie uns zeigen, wo sein Grab ist, und wir können ihm Blumen bringen.«
    »Du glaubst, daß er doch noch gefallen ist?«
    »Die letzte Nachricht war vor sieben Monaten. Freunde von Sylvie funkten es aus Leningrad. War's die Wahrheit? Warum von da ab keinen Ton mehr? Abgeschlossen habe ich mit dem Schicksal, der letzte Wachter zu sein.« Er sah die halbwegs erhaltene breite Treppe hinauf, die zum Bernsteinzimmer führte. »Jetzt gilt es Abschied nehmen von 230 Jahren treuen Diensten.« Er atmete tief durch, um Luft für eine feste Stimme zu bekommen. »Ob der neue Verwalter in unserer Wohnung lebt? Kann ich ihn bitten, sie mir zu zeigen?«
    »Wir werden ihn fragen, Väterchen. Bestimmt wird er dich verstehen. Aber dann mußt du dich ihm zu erkennen geben. Was geht einen Fremden die Verwalterwohnung an?«
    »Recht hast du, Janaschka, wie immer. Man muß sich das überlegen, sehr überlegen.«
    Die breite Treppe gingen sie hinauf, ganz langsam, als wollten sie Stufe um Stufe genießen oder Abschied nehmen. Dann standen sie vor der Haupttür des Bernsteinzimmers, die Dr. Findling 1941 als fehlend reklamiert und ausbauen hatte lassen. Jetzt hatte man eine einfache Brettertür eingehängt, nur mit einer alten Klinke und ohne ein Schloß. Was sollte man auch abschließen? Die kahlen Wände? Was gibt's in einem leeren Raum zu stehlen?
    Trotzdem drückte Wachter mit sichtbarer Ehrfurcht die Klinke herunter, öffnete die Tür und trat in das Zimmer ein. Jana ließ ihn vorangehen und folgte ihm erst nach einer Minute, blieb an der Tür stehen und atmete kaum.
    Wachter stand in der Mitte des Raumes, die Hände auf dem Rücken, so wie er Jahrzehnte da gestanden hatte, allein oder mit einer Gruppe Besucher. Er stand im Zimmer, als leuchteten noch von den Wänden die Bernsteinmosaike, als blitzten die Sockel und Paneele, die Girlanden und geschnitzten Köpfe, die Engel und die Masken, die venezianischen Spiegel und eingelassenen Gemälde.
    Das wertvolle Intarsienparkett aus den verschiedensten Hölzern und mit Perlmutteinlagen, vielleicht einer der schönsten Fußböden der Welt, war noch, bis auf einige aufgebrochene Stellen, erhalten. Der neue Verwalter oder wer auch sonst hatte sauberes Sägemehl darüber schütten lassen. Mit den Schuhspitzen schabte Wachter eine kleine Fläche frei und spürte das Glück, diesen Boden wieder unter seinen Füßen zu haben. Auch die Deckengemälde waren noch vorhanden und unversehrt. Gepflegt waren sie, das sah er sofort, vorsichtig abgewaschen und vom Staub befreit. Es fehlten nur die Wände, die verschwundenen zwanzig Kisten mit dem Bernstein-Wunder, und er, Michael Wachter, hätte wieder hier stehen können und in russisch oder in deutsch sagen können: »Liebe Genossen, meine Damen und Herren. Was Sie hier sehen, werden Sie nie wieder und nirgendwo sonst sehen: das Bernsteinzimmer … das eingefangene Gold der Sonne …«
    Nein, er würde es nie wieder sagen. Das Bernsteinzimmer war verschollen, und ein neuer Verwalter hatte das Wachtersche Erbe übernommen. Vorbei war alles, Vergangenheit, Historie. Es war der Augenblick, in dem Wachter wußte, daß er ein alter Mann war. Ein Mensch von gestern.
    Nur eins blieb ihm noch: die Suche nach dem Bernsteinzimmer.
    Ganz langsam drehte er sich um sich selbst, schloß die Augen und sah vor sich die Wandtafeln, wie sie 230 Jahre lang dagewesen waren. Sogar das kleine Loch sah er, das Fjodor Fjodorowitsch, der Urahne und erste Wachter für das

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