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Das Bernsteinzimmer

Das Bernsteinzimmer

Titel: Das Bernsteinzimmer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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ermordet worden. Rasputin, der Wundermönch, hatte in Zarskoje Selo seine wilden Sauf- und Liebesgelage abgehalten und hatte sogar zweimal im Bernsteinzimmer vor dem Zarewitsch gesessen und mit dem Streicheln seiner Hände einen Anfall der Bluterkrankheit des kleinen Alexej aufgehalten. Trotzkij war durch das Schloß gegangen; Lenin hatte ergriffen im Bernsteinzimmer gestanden und es zum russischen Heiligtum erklärt. Stalin hatte sich auf einem Stuhl mitten ins Zimmer gesetzt und sich geduldig, was sonst nicht seine Art war, die Geschichte des Bernsteinkabinetts von Wachter erzählen lassen, vor allem die Orgien der großen Katharina II., die sich oft mit ihrem jeweiligen Geliebten in dem Zimmer eingeschlossen hatte, um sich im Glanze des ›Sonnensteines‹ besonders angeregt zu verlustigen. Immer war ein Wachter zur Stelle gewesen, immer war ein Wachter der Vertraute gewesen, und über Georgij Ludwigowitsch Wachterowskij hatte Rasputin ein Kreuz geschlagen, wonach er nie wieder krank wurde und im Alter von 101 Jahren friedlich, während des Schlafes, zu Gott einging.
    Hatte ein Wachter nicht das Recht, beim Anblick der Trümmer seines Schlosses Tränen in die Augen zu bekommen?
    So saßen sie also stumm in ihrem Auto. Jana Petrowna hatte den Arm um Wachters Schulter gelegt, und sie ließ ihm Zeit, sein Inneres zur Ruhe zu bringen. Vom säulengetragenen Eingang in den Park kam ein sowjetischer Major langsam auf sie zu. Er hatte die Mütze in den Nacken geschoben, den Uniformrock aufgeknöpft und sogar den Hemdkragen geöffnet. Hier draußen nahm man es nicht so genau, Kontrollen waren selten, und kam mal ein höherer Offizier zum Katharinen-Palast, dann wurde das vorher rechtzeitig gemeldet, und man konnte sich schnell wieder korrekt kleiden. Es war heiß. Die Augusttage in Leningrad können brennen, und dieser Sommer 1945 war besonders heiß und lag schwer über dem Land.
    Der Major betrachtete den großen Horch-Wagen, las die sowjetische Militärnummer, sah aber nur zwei Zivilisten im Auto, einen älteren Mann und eine schöne, höchst interessante Frau mit hohen Wangenknochen und leicht schräg gestellten Augen. Er zog seine Mütze etwas tiefer in die Stirn, was ihn amtlicher machte, dann trat er an die Wagentür mit der heruntergekurbelten Scheibe heran. »Haben die Genossen Fragen?« sagte er und sah Jana wohlgefällig an.
    Wachter nickte, öffnete die Tür und stieg aus. Auf der anderen Seite tat Jana das gleiche. Tief holte Wachter Atem und stieß mit der Luft den Rest seiner Erschütterung heraus.
    »Ich kenne das Palais von früher«, sagte er. »Kann ich es betreten und mich umsehen?«
    »Sie kennen es, Genosse? Sie werden weinen.«
    »Ich habe bereits geweint, Genosse Major.«
    »Ich kannte den Palast nicht, als ich hierherkam. Aber viele, die ihn jetzt besucht haben und sich erinnerten, haben auch geweint. Was wollen Sie sehen? Nicht alles ist zu besichtigen … es gibt Teile, die sind gesperrt wegen Einsturzgefahr. Nur wenig ist übriggeblieben. Das meiste liegt noch in Leningrad und wird – so sagt man – erst wiederkommen, wenn das Schloß wieder aufgebaut worden ist.«
    »Ich weiß es.« Wachter blickte zu dem Teil des Schlosses hinüber, den er so gut wie kein anderer kannte. »Das Bernsteinzimmer möchte ich sehen.«
    »Weg ist es, Genosse. Gestohlen von den Faschisten! Ein schönes Zimmer muß es gewesen sein.«
    »Es gab nichts Schöneres. Ein greifbares Wunder war's. Der Himmel, die Sonne, die ganze Schönheit der Welt, das leuchtende Meer, aus dem der Bernstein kam. Menschen gab es, Genosse Major, die standen vor seinen Wänden, falteten die Hände und beteten.« Wachter holte wieder tief Atem. »Ich möchte es sehen, das Bernsteinzimmer … die leeren Wände …«
    »Fragen Sie den Verwalter.«
    Durch Wachter zuckte es wie ein Stich. Auch Jana Petrowna spürte eine Beklemmung, begriff Wachters Betroffenheit, kam zu ihm und legte ihm wieder tröstend den Arm um die Schultern.
    »Einen Verwalter gibt es?« fragte Wachter. »Es gibt wieder einen Verwalter?«
    »Eingesetzt von der Zentralstelle der Schlösserverwaltung.« Der Major bemerkte die Betroffenheit in den Gesichtern der Besucher und winkte lächelnd ab.
    »Ein guter, zugänglicher Mann ist er, Genossen. Wird euch nicht verweigern, das leere Zimmer anzusehen. Hat schon viel aufgeräumt hier im Schloß. Hat die Putzbrigade und die Maurer fest im Griff. Ohne ihn –« der Major verzog sein Gesicht – »wär's hier noch wie vor einem

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