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Das Bernsteinzimmer

Das Bernsteinzimmer

Titel: Das Bernsteinzimmer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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ihnen Hilfe? Ha, wie utopisch denken Sie, Genosse! Beteiligung bei der Suche nach dem Bernsteinzimmer? Eher leiten Sie die Lena in die Mongolei! Ist der Kunstschatz in den Händen der US-Army – nicht ein Silbchen werden sie verraten, nicht einen Laut. Wer gibt ihn her, solch einen einmaligen Schatz?«
    »Er gehört dem russischen Volk. Seit 230 Jahren, Genosse Agajew!« rief Jana Petrowna.
    »Und wenn er schon 800 vor Christi Geburt den Skythen gehört hätte … jetzt hat ihn der Amerikaner.« Agajew sah Wachter an und klopfte auf das umfangreiche Protokoll. »Wenn alles stimmt, was Sie erzählt haben, Michail Igorowitsch.«
    »Es ist nachprüfbar, Pawel Leonidowitsch.«
    »Eben nicht!« Agajew zeigte mit dem Daumen auf einen Aktenschrank hinter sich und hüstelte wieder. »Alles Spuren von Kunstschätzen. Ein Berg von Vermutungen. Ein Hügelchen von tatsächlichem Wissen. Aber selbst an diesen Maulwurfhaufen kommen wir nicht heran … er liegt im Westen!«
    »Thüringen und Sachsen gehören jetzt zur sowjetisch besetzten Zone.« Nikolaj tippte mit dem Zeigefinger auf die Deutschlandkarte. »Und hier können wir nachforschen.«
    »Mein lieber Genosse!« Agajew stützte die Stirn in die Hand. »Das heißt: Hunderte Orte, Schlösser, Depots und Bergwerke aufsuchen. Hunderte verschüttete Keller öffnen, gesprengte Stollen aufgraben, unterirdische Gänge freischaufeln, Tausende von Personen verhören, meterdicke Bunkerwände aufreißen – dafür haben wir jetzt keine Zeit und kein Geld.«
    »Keine Zeit für das Bernsteinzimmer?« Wachter starrte Agajew ungläubig an. »Verhört muß ich mich haben.«
    »Genossen, nur an das Bernsteinzimmer denkt ihr!« rief Agajew gequält aus. »Denkt daran, daß wir gerade eben erst, vor vier Monaten, den Krieg gewonnen haben und nun flach auf dem Hintern liegen. Die angeblich hungernden Deutschen haben mehr zu kauen als unsere Städter. Ein Kohlkopf wird bei uns vergoldet, eine Eiche kann man ausstellen wie eine griechische Statue, und eine mit Hackfleisch gefüllte Pirogge ist so üppig wie ein Bojarenmahl.« Nach diesem Riesensatz mußte er heftig husten. »Wo hat da noch ein Bernsteinzimmer Platz, liebe Genossen?«
    Es hatte keinen Sinn, weiter mit Agajew zu reden. Die Wachters und Jana Petrowna sahen das ein, gaben dem Genossen Kommissionsvorsitzenden die Hand und standen dann wieder auf der Straße. Wohin man auch blickte, was er gesagt hatte, war nicht wegzuleugnen. Überall standen lange Schlangen von Männern, Frauen und Kindern, um zu kaufen, was es in diesem Geschäft gerade gab. Was, war zunächst gleichgültig. Es gab etwas. Wenn man Glück hatte, bekam man es, und wenn man es hatte, konnte man tauschen, es anziehen oder essen. Wichtig war: Es gab etwas.
    Ein schöner Spätsommertag war's, sie spazierten ein wenig an der Newa entlang, standen am Ufer vor dem Winterpalais und der Eremitage, gingen zum Dekabristenplatz zurück und setzten sich auf die Steine des Denkmalsockels.
    »Wir sollten es allein versuchen, meine Lieben«, sagte Wachter nach langem schweigendem Nachdenken. »Jananka und ich. Du, Nikolaj, bleibst in Puschkin.«
    »Auf gar keinen Fall. Wir drei bleiben zusammen. Nur eine Frage, Väterchen, wer soll's bezahlen? Kein Ausflug ist's …«
    »Das weiß ich auch«, knurrte Wachter. »Es kann Monate dauern.«
    »Wenn wir überall gegen Wände rennen, auch Jahre!« sagte Jana realistisch. »Zuerst müssen wir Silverman finden, aber wo? Das Fundament allen Suchens ist Silverman. Die Basis. Allein er weiß mehr als alle anderen, die man fragen könnte.«
    »Er wird sich melden. Um seine Entlassung hat er nachgesucht. Er hat versprochen, sofort Nachricht zu geben.«
    »Wohin?« fragte Nikolaj.
    »Ich habe ihm die Puschkiner Adresse gegeben. Katharinen-Palast.«
    »Und du glaubst wirklich, daß dort ein Brief von ihm ankommt?«
    »Warum nicht? Einmal ja … früher oder später. Es ist doch Frieden.«
    »Nein, Väterchen, falsch siehst du das.« Nikolaj schabte mit den Schuhspitzen über das Pflaster. »Geschossen wird nicht mehr auf die Deutschen, das ist alles. Jetzt wird mit Schikanen, Verleumdungen, politischem Gift um sich geworfen und die Welt in zwei Teile gespalten. Noch lächelt man sich an, mit säuerlichen Mienen, noch bildet man ein Siegerquartett, um die Geschichte nicht völlig zu verwirren. Aber warte es ab, was in zwei oder drei oder zehn Jahren sein wird. Und schlimmer noch für uns: Wir sind Deutsche in Rußland. Wir leben hier wie die Russen,

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