Das Bernsteinzimmer
gelagert haben sollte. Das Verschwinden der drei Trucks mit zwanzig Kisten und der Tod des armen Noah Rawlings, diese Blamage der US-Transportstaffel, wurden gründlich vergessen. Ein unglücklicher Zwischenfall im Krieg wie tausend andere – das war's. Wozu darüber große Worte? Silvermans damalige Berichte wurden in die Tresore des OSS verbannt und waren damit für alle Zeiten uneinsehbar. So vieles ist verlorengegangen, wie viele Städte waren nur noch rauchende Ruinen … wer regte sich da über ein Zimmer aus Bernstein auf?! Leute, so etwas braucht man nicht zum Leben. Seht euch an, was nach einem verlorenen Krieg möglich ist: das deutsche Wirtschaftswunder! Das ist wichtig: ein starker Block gegen den Osten!
Silverman paßte sich dem neuen Denken an, wenn auch nur als Tarnung. Das Bernsteinzimmer war kein Gesprächsstoff mehr, und nach der Pensionierung von General Walker kam ein Nachfolger an die Spitze des OSS, dem Silverman kein Begriff mehr war und der die interne Geschichte des Diplomaten im Fernen Osten nicht kannte.
Silverman selbst sah eine große Chance in diesem Wechsel. Zunächst schickte er ein Gesundheitsattest des Botschaftsarztes nach Washington. Der Arzt, Dr. Humbert Seykonone, ein Halbjapaner, hatte viele Gespräche mit Silverman geführt, bis dieser ein so großes Vertrauen zu ihm faßte, daß er ihm vom Bernsteinzimmer erzählte. Seykonone, im Herzen ein Japaner, erinnerte sich daran, was amerikanische Truppen damals von den von ihnen besetzten japanischen Inseln aus Tempeln, Grabanlagen und Heiligtümern weggeschleppt hatten, gab Silverman die Hand und sagte: »Ich werde Sie krank schreiben, Fred, Ihr Gesuch um Entlassung unterstützen und auch dem Botschafter erklären, daß ein Mann wie Sie seine Ruhe verdient hat und die letzten Jahre seines Lebens eigentlich in Florida oder an der kalifornischen Küste genießen sollte.«
»Dann müssen Sie mir aber eine verdammt tückische Krankheit andichten, Humbert.« Silverman sah Seykonone nachdenklich an. »Wenn das gelingt –«
»Versuchen wir es.«
Dr. Seykonone fand eine Krankheit, die man kaum anzweifeln konnte und die so ernst klang, daß eine Pensionierung Silvermans gerechtfertigt war. Laut Attest litt Silverman an einer benignen Nephrosklerose, eine vaskuläre Nierenerkrankung unter Beteiligung der kleinen Gefäße. Das mußte reichen.
Und es reichte. Silverman wurde nach Washington gebeten, ins Außenministerium, und dort empfing ihn ein sehr freundlicher Beamter, drückte ihm die Hand und ließ sich nicht anmerken, wie sehr er den Kranken bedauerte.
»Ihr Gesuch, lieber Silverman, ist von uns eingehend geprüft worden«, sagte er. »Wie fühlen Sie sich?«
»Schlapp. Und oftmals ist da eine schreckliche Übelkeit. Von den Nierenstauungen ganz abgesehen.« Silverman hatte Seykonones Ratschläge gut auswendig gelernt. »Ich habe manchmal das Gefühl, in der Mitte durchzubrechen.«
»Die beste Krankheit taugt nichts«, versuchte der Beamte den alten dummen Scherz. »Wir haben für Ihre Lage volles Verständnis. Wären Sie bereit, in vier Wochen in den Ruhestand zu treten?«
»Es wäre für mich eine große Erleichterung. Ich möchte mich dann nach Monterey zurückziehen und nur noch Golf spielen.«
»Die Bewegung in der frischen Luft wird Ihnen guttun.« Es sollte aufmunternd klingen, aber Silverman hörte mit innerer Freude heraus, was man insgeheim dachte: Der arme Kerl. Will Golf spielen und weiß nicht, daß er bald an seiner Nierenverkalkung zugrunde geht. »Wir werden alles vorbereiten, Mr. Silverman.«
Schon drei Wochen später traf in Silvermans Hotel die Nachricht ein, daß er aus dem diplomatischen Dienst und Geheimdienst ehrenvoll entlassen sei. Eine große, schöne Urkunde erhielt er, einen Händedruck eines Staatssekretärs, die Bestätigung einer angemessenen Pension … und dann war er kein US-Beamter mehr, kein ehemaliger Major des Geheimdienstes OSS, kein ›besonderer Fall‹ wie bei General Walker, er war frei in allen seinen Handlungen, konnte sich überall auf der Welt niederlassen, natürlich auch zum Golfspielen in Monterey, südlich von San Francisco.
Von Washington noch rief er Dr. Seykonone in Peking an.
»Humbert, ich werde Ihnen ewig dankbar sein. Seit neun Stunden bin ich nur noch Fred Silverman, der Pensionär.«
»Gratuliere, Fred«, rief Seykonone zurück. »Und was werden Sie jetzt tun?«
»Die Farm meines Vaters verkaufen, alles Geld zusammenkratzen und nach Germany fahren. Doch vorher
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