Das Bernsteinzimmer
aber wir mögen die Russen nicht. Gar nicht! Es wird zu großen Umwälzungen kommen, zu größten Veränderungen der Weltpolitik. Das Hitler-Deutschland ist wegradiert … Weltpolitik gibt es ab jetzt nur zwischen Washington und Moskau! Sie sind ein guter Mann, Fred, wir brauchen Sie noch. Ein US-Offizier verläßt nicht sein Kommando, wenn ihn das Vaterland noch braucht.«
General Walker sah Silverman aus grauen, forschenden Augen an. »Amerika ist doch Ihr Vaterland geworden, nicht wahr?«
Silvermans Rücken wurde noch steifer. »Ich verstehe die Frage nicht, Sir.«
»Sie sind doch ein deutscher Jude, Fred.«
»Seit 1934 bin ich US-Bürger, Sir.«
»Im Paß! Aber wie ist's mit dem Herzen?«
»Ich habe gegen Deutschland gekämpft.«
»Gegen Nazi-Deutschland … das gibt es nun nicht mehr.«
»Fast meine gesamte Familie ist in den KZs ausgerottet worden.«
»Das ist schreckliche, unvergeßliche, unsühnbare Vergangenheit, Fred … wie aber sehen Sie die Zukunft?« Walker beugte sich etwas zu Silverman vor.
»Sprechen wir miteinander wie zwei gute Freunde: Was haben Sie vor, wenn Sie das OSS verlassen haben und ein freier Zivilist sind?«
»Ich werde nach Deutschland zurückkehren.«
»Aha, also doch. Als Friedrich Silbermann.« Walker lehnte sich wieder in den Ledersessel zurück. »Wie ich aus den Akten sehe, wollen Sie intensiv nach dem verschwundenen Bernsteinzimmer forschen.«
»Nicht nur, Sir. Ich möchte so viele Kunstgüter wie möglich, die von den Nazis geraubt wurden, aufstöbern und den rechtmäßigen Besitzern zurückgeben.«
»Das sind vor allem die Russen.«
»Es sieht so aus, Sir. Ich weiß viele Stellen, wo die Nazis die Kunstschätze versteckt hatten, und ich will den Weg zurückverfolgen, wohin sie nach der Besetzung Deutschlands gekommen sind.«
»Ihr Wissen haben Sie als Angehöriger des OSS bekommen, und nun wollen Sie dieses Wissen gegen die USA verwerten!« Walkers Stimme hatte sich gehoben. »Finden Sie das nicht schäbig, Fred?! Irgendwie verräterisch?! Ein Dolchstoß in den Rücken?«
»Heißt das, daß alles, was die US-Armeen abtransportiert haben, jetzt US-Besitz ist?«
»Darüber entscheiden nicht Sie oder ich, sondern andere Stellen. Ihre Aufgabe war es, die Lagerstätten zu entdecken und auszuforschen, die Truppenführer hinzubringen und die entdeckten Depots in ihrer Liste anzustreichen. Damit war Ihre Tätigkeit erfolgreich beendet. Haben Ihnen nicht Eisenhower, Patton und Bradley die Hand gedrückt und Sie gelobt?«
»Ja. In Merkers, einer Stadt in Thüringen. Wir hatten den größten Schatzfund der Kriegsgeschichte gemacht. Aber wo sind diese Schätze jetzt?«
»Geht Sie das etwas an, Fred?«
»Gemälde von Rubens lagerten da, von Caravaggio, Tizian, Uccello, Masaccio, Rembrandts ›Mann mit dem Goldhelm‹ und der Kopf der Nofretete … wo sind Sie hingekommen?«
»Da zuckt Ihr deutsches Herz, Friedrich Silbermann, nicht wahr?« Walker hob die Hand und winkte energisch ab, als Silverman etwas entgegnen wollte. »Ich soll Sie also entlassen, damit Sie unser Gegner werden?«
»Nein, Sir, ich will nur …«
»Einen Teufel werde ich tun, Fred. Ich befördere Sie zum Major, nagele Sie auf Ihren Eid als US-Offizier fest und damit hat es sich! Und wir schicken Sie als Kultur-Attaché an die Botschaft von Neuseeland. Da können Sie kein Unheil anrichten und können die Kultur der Maoris studieren.«
»Sir –«
»Mein letztes Wort, Major Silverman!« Walker sprang auf, Silverman mußte ihm folgen und nahm Haltung an. »Melden Sie sich im Außenministerium. Dort weiß man schon Bescheid. Ihre Versetzung nach Wellington/Neuseeland wird bereits nächste Woche erfolgen. Viel Glück, Fred … und werden Sie ein international angesehener Maori-Forscher.«
Walker nickte. Für Silverman blieb nur der Rückzug und der aufbrechende Gedanke: So lasse ich mich nicht behandeln! Ich decke doch keinen Kunstraub. Es muß einen Weg geben, und ich werde ihn finden!
Am nächsten Tag schrieb er einen Brief an Michael Wachter, Katharinen-Palast, Puschkin bei Leningrad, UdSSR.
Der Brief kam nie an.
Die Lena floß noch nicht in die Mongolei –
Das Jahr 1956 machte Michael Wachter zum Siebzigjährigen.
Welch ein Fest war das in Puschkin und im Katharinen-Palast! Wieder einmal wurde Michail Igorowitsch, der ›Schloßgeist von Zarskoje Selo‹, wie fixe Journalisten ihn tauften, zum Tagesthema der Zeitungen. Sie beschrieben sein Leben und das seiner Vorfahren, zeigten Fotos, wie
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