Das Bernsteinzimmer
Sonderkommandos geplündert worden war. Darunter befand sich auch das berühmte Bernsteinzimmer, das bis heute verschollen ist.
»Da haben wir's!« sagte Williams, als er die Zeitung gelesen und Larry an den Kopf geworfen hatte. Larry hockte wie ein Häufchen Elend in einem Sessel und schien dem Weinen nahe. »Das Bernsteinzimmer kommt wieder ins Gespräch! Eine Scheiße ist das, Larry, eine große Scheiße! Wir müssen die zwanzig Kisten aus der Höhle holen und nach Genua bringen! Und warum … weil Larry Brooks, der Junge aus den Slums, ein Graf sein wollte! Mit Herrenhaus! Mit eigenem Reitstall! Mit einem eigenen See! Sitz nicht rum und heule!«
»Ich habe einen Menschen umgebracht, Joe.« Larry schlug die Hände vor sein Gesicht. »Zum zweitenmal einen Menschen … Ich bin total fertig.«
»Bis übermorgen. Dann hast du's verdaut.«
»Das glaube ich nicht, Joe.«
»Aber ich … Das Bernsteinzimmer wird immer wertvoller. Jetzt hat es schon zwei Menschenleben gekostet.«
Es klang zynisch und eiskalt, und Larry fror wirklich bei diesen Worten vor Entsetzen und Angst.
Im November, an einem trüben Tag, der Genua noch häßlicher machte, als es ohnehin schon war, vor allem den Hafen, legte das Motorschiff Lukretia von der Pier ab. Es fuhr unter libanesischer Flagge, wurde von einem griechischen Kapitän befehligt und hatte eine Besatzung aller nationalen Schattierungen. Es transportierte Landmaschinen nach Mexiko, große Kisten, unter denen die zwanzig alten Kisten gar nicht auffielen, die eines Nachts an Bord gebracht worden waren. Eine Nacht, in der der Kapitän um fünfzigtausend Dollar reicher geworden war. Und bei fünfzigtausend Dollar stellt man keine Fragen mehr – das wußte Joe, und er konnte daher leicht großzügig sein.
Ein paar Tage zuvor war er nach Köln gefahren, um möglichen Nachforschungen vorzubeugen, und hatte vom Bahnpostamt ein Gespräch nach USA, nach Whitesands, angemeldet. Dort meldete sich der alte Butler William, Joe verstellte seine Stimme und sagte, es sei eine wichtige Angelegenheit, auf die der Hausherr warte. Als er seinen Vater hörte, sagte er:
»Hallo, Dad … ich bin's!«
»Wer ist dort?« fragte der alte Williams steif.
»Joe, Daddy.«
»Das kann nicht sein. Mein Sohn ist in den letzten Kriegstagen in Deutschland gefallen, sein Ehrenmal steht in Whitesands …«
»Dad, du weißt doch, daß ich lebe. Zugegeben, ich habe jahrelang nichts von mir hören lassen, ich habe an dich gedacht, als du fünfundsiebzig wurdest, aber es war noch nicht die Zeit, aufzutauchen …«
»Was wollen Sie?« fragte der alte Williams ziemlich grob. »Wo stecken Sie?«
»In Germany. Dad … wie geht es Mom?«
»Meine Frau ist vor sieben Monaten gestorben.«
»Mom … ist tot?« Joe schluckte ein paarmal. »Woran ist sie gestorben?«
»Was interessiert Sie das, Sie sind mir unbekannt! Sie stehlen mir meine Zeit.«
»Dad! Sie war meine Mutter –«
»Ihr Sohn ist vor elf Jahren gefallen, Sie Lügner!« schrie der alte Williams ins Telefon. »Sie hatte keinen Sohn mehr! Und so traurig es ist, ein Kind zu verlieren, sie war froh, daß ihr Sohn wenigstens ehrenvoll gestorben ist. Als Kriegsheld … und nicht als Gangster.«
»Das sagst du mir, Dad? Ausgerechnet du? Dein ganzes Leben lang hast du nur Glück gehabt, das ist es! Ohne dieses Glück wärst du längst auf dem elektrischen Stuhl gebraten worden! Verdammt noch mal, ich wollte jetzt nach Hause kommen.«
»Bleib bloß, wo du bist!« Die Stimme des alten Williams war beinhart. »Es könnte einen Unfall auf dem Weg nach Whitesands geben.«
»Dad! Das könntest du tun?«
»Mein Sohn Joe ist im Krieg gefallen – dabei bleibt es!«
Der alte Williams legte auf. Joe starrte eine Zeitlang auf seinen Hörer, ehe er einhängte, zum Postschalter ging und das Gespräch bezahlte.
So also ist das, dachte er. Es gibt mich nicht mehr. Auch gut … das Bernsteinzimmer kann überall stehen, dazu brauche ich Whitesands nicht. Bye bye, Dad – das war unser letztes Gespräch.
Der Abtransport der zwanzig Kisten aus der Höhle im Berg Taufstein war keine Schwierigkeit. Von einer Baufirma in Alsfeld lieh sich Larry Brooks einen kleinen Raupenbagger, fuhr ihn zur Höhle, und schon nach sechs Stunden hatten sie den gesprengten Eingang freigelegt. Joe hatte sich um einen Lastwagen bemüht und am Stadtrand von Alsfeld eine alte Lagerhalle gemietet. Dorthin transportierten sie in viermaligem Hin- und Herfahren das Bernsteinzimmer, gaben Bagger und
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