Das Bernsteinzimmer
noch eine Frage, nur zur Beruhigung: Habe ich wirklich keine Nierenverkalkung?«
»Sie haben Nieren wie ein College-Boy, Fred«, lachte Seykonone. »Wenn's bei Ihnen nur an den Nieren hängt, können Sie hundert Jahre alt werden. Viel Glück im kalten Germany.«
»Danke, Humbert. Vielleicht kann ich hundert Jahre sogar gebrauchen.«
Silverman legte auf. Das war mein letztes Telefongespräch mit einer amtlichen amerikanischen Stelle, dachte er. Jetzt heißt es, Geld beschaffen, ein Ticket nach Frankfurt zu kaufen und ein anderer Mensch zu werden. Ein deutscher Jude kommt nach Deutschland zurück, um ein russisches Bernsteinzimmer zu suchen. Er geht in das Land zurück, das seine ganze Familie ausgerottet hat. Etwas absurd war das schon … aber notwendig.
Ich bin der einzige, der mehr weiß als alle anderen.
Die Geschäfte mit dem Bordell, dem Stundenhotel und der Erotikshow liefen vorzüglich. Larry Brooks und Joe Williams waren zu den heimlichen Herrschern der Frankfurter Szene aufgestiegen und hatten das Puffgewerbe nach amerikanischem Muster völlig unter ihrer Kontrolle.
Als nach der deutschen Währungsreform 1948 auch die Deutschen wieder genug Geld hatten, um sich eine Stunde oder auch zwei mit den ›Alleinunterhaltrinnen‹ zu gönnen, vor allem aber neue Sexlokale gegründet wurden, auf deren Bühnen tabufreie Erotikshows stattfanden, an denen sich jeder Besucher im Saal beteiligen konnte, und als die Privatclubs überall aus dem Boden schossen, in denen Partnertausch und Gruppensex gepflegt wurden, liefen alle Konzessionen erst einmal über Larry und Joe. Wer, ohne sie zu fragen, einen Puff aufmachte, bekam Besuch von Larry, und meistens war die Angelegenheit nach zehn Minuten Unterhaltung erledigt. Getreu dem Vorbild der Mafia von New York, Chikago, New Orleans und anderen Städten wurden Schutzverträge abgeschlossen und monatlich kassiert. Ein paar Wackere, die sich nicht beugen wollten, kamen spätestens nach sechs Monaten zu Larry und Joe, unterschrieben und zahlten … ein paarmal die Lokaleinrichtung zu erneuern oder einen Messerstich auszuheilen, ist nicht jedermanns Sache.
Und trotzdem, Larry beging eine Dummheit, die das ganze schöne Bordellgeschäft ins Schwanken brachte.
Ein Immobilienmakler bot ihm im Jahre 1955 eine Villa im Taunus an, ein weißes, schloßähnliches Gebäude mit eigenem Reitstall, einem See, mit Wild gut bestandenen Wäldern und einem verpachteten Bauernhof. Ein Traumbesitz, der – wie Larry sich sagte – gut zu ihm paßte, nur der Preis von elf Millionen harter DM überstieg Larrys aktuelles Konto. Aber er wußte Rat, und in neun Tagen hatte er die Summe zusammengebracht. Der Herrensitz im Taunus konnte gekauft werden.
Es war an einem Abend in der Villa von Joe Williams, daß sich Larry plötzlich nicht mehr sehr wohl fühlte. Carla, Joes gegenwärtige Geliebte, war nicht im Haus, was Larry auffiel, und auch Joe war anders als sonst, öffnete statt des Butlers selbst die Tür und ließ Larry stumm eintreten. Erst am Barschrank im großen Salon, nachdem Larry einen doppelten Whiskey bekommen hatte, blieb Joe vor ihm stehen, verschränkte die Arme vor der Brust und zog das Kinn an.
»Hast du die Zeitung gelesen?« fragte er.
»Welche?« fragte Larry und bekam einen starken Druck im Magen.
»Die Frankfurter Allgemeine.«
»Ja.«
»Da steht, daß plötzlich bei einem Kunsthändler drei wertvolle, bisher verschollene Kunstgegenstände aufgetaucht sind, die aber schon, als die Polizei eingriff, an einen unbekannten Sammler nach Amerika verkauft waren. Es handelte sich um eine Ikone der Nowgoroder Schule, eine Monstranz von 1518 und ein Gemälde von Tiepolo.« Joes Stimme blieb ruhig und klang deshalb besonders gefährlich. »Soviel ich mich erinnern kann, gehörten diese Kunstschätze einmal einem Larry Brooks.«
»Joe, ich muß dir das erklären …«
»Das ist auch nötig, glaube ich.«
»Ich kann einen Traum von Haus kaufen. Mit See, Reitstall, Wäldern … im Taunus, weißt du. Sogar ein großer Bauernhof ist dabei.«
»Preis?« fragte Williams knapp.
»Elf Millionen DM.«
»Du bist verrückt, Larry. Du drehst durch …«
»Mir fehlten nur noch neunhunderttausend Mark! Lumpige Neunhunderttausend! Sonst wäre der ganze schöne Besitz an einen Araber gefallen. Da habe ich …«
»Da hast du in den Tresor gegriffen und ein paar Stückchen herausgeholt.«
»Ja, Joe.«
»Und mich zu fragen, daran hast du nicht gedacht.«
»Nein. Hättest du mir die
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