Das Bernsteinzimmer
zerhackt. »Ein deutscher Soldat ist ein ehrenhafter Mann! Wir sind doch keine Mongolen Dschingis-Khans! Ich wünsche, daß die Frauen zurückkommen und das Schloß weiter in Ordnung halten.«
Ohne eine Antwort abzuwarten, drehte sich von Kortte wieder um und stieg die Marmortreppe hinauf zu den Sälen, in denen sein Stab arbeitete. Für sich selbst hatte er den Chinesischen Saal ausgewählt, ein Prunkstück mit bemalten Wänden und Türen und geschnitzten asiatischen Möbeln. Der Fernmeldetrupp schien dafür keine Augen gehabt zu haben. In die Wände hatte man Klammern für die Telefonleitungen geschlagen und Löcher zu den Nebenräumen gebohrt. Hier waren die Dienststellen des Oberquartiermeisters, des Ia und des Ib und die Schlafzimmer der Stabsoffiziere.
Michael Wachter sah von Kortte nach und wischte sich mit der rechten Hand über sein Gesicht. Er wurde nicht klug aus dem General. Man konnte mit ihm reden, und plötzlich war er wieder zugeknöpft und eisig wie eine Marmorstatue. Wie's auch sei … er hatte nicht zugelassen, daß die SS das Schloß besetzte. Allein schon das war eine mutige und gute Tat, für die man ihm dankbar sein sollte.
Am nächsten Morgen war alles anders.
In der Nacht waren zwei Kompanien Infanterie von der Front zurückgekommen. Sie waren verdreckt, übermüdet, vom schnellen Vormarsch zermürbt. Neue, frische Kompanien hatten sie abgelöst. Nun nahmen sie im Schloß Quartier und belegten die noch freien Räume.
Wachter hatte sie nicht kommen hören, er schlief in seiner Wohnung im Nebentrakt, an deren Tür man ein Pappschild mit der Aufschrift Verwaltung genagelt hatte. Dadurch blieb er ungestört, konnte seine Wohnung behalten und wurde nicht belästigt. Erstaunt stellte er fest, welch ein kleines Wunder solch ein Schild hervorbringen konnte. Niemand kümmerte sich darum, was hinter der Tür geschah … das Schild allein genügte. Es war etwas Amtliches. Ein guter Deutscher hatte davor Respekt und keine Fragen mehr.
Als Michael Wachter zu seinem Bernsteinzimmer kam, blieb er zunächst betroffen stehen und starrte auf die herrliche Tür. Auch hier hatte man ein Pappschild aufgenagelt, bemalt mit einer groben Schrift. Belegt von 2. Kp . stand darauf, und man hatte einen derben zweizölligen Nagel benutzt, um den Fetzen anzuheften. Der große Nagel saß mitten in den Schnitzereien und vergoldeten Girlanden.
Wachter atmete tief durch, riß die Tür auf und stürmte in das Zimmer. Zwei Landser waren gerade dabei, ein Stück der Holzverschalung loszureißen, um zu sehen, was sich dahinter versteckte. Die Mehrzahl aber lag herum, schlief auf den im Zimmer abgestellten oder herangeschleppten kostbaren Sesseln, Liegen und Kanapees. Sie wetzten mit ihren schmutzigen, erdverkrusteten Stiefeln über die Brokat- und Seidenbezüge, rauchten und warfen die Kippen in den Sand, der den unersetzbaren Parkettboden bedeckte. Zwei andere Landser, die gerade eine Pappverkleidung heruntergerissen hatten, standen einen Augenblick wie erstarrt vor dem Glanz, den sie freigelegt hatten.
In einem Rahmen aus leuchtendem Bernstein, Intarsien von Sonnengelb bis zum warmen Braun, Mosaike, aus denen man Blütenranken und Medaillons geschnitzt hatte, hing das Gemälde einer idealisierten Landschaft, mit römischen Säulen und bogenförmigen Ruinen, eingebettet in eine sanfte Hügellandschaft, wie sie in der Toskana zu finden war. Eine gemalte Ode des Vergil.
»Det is'n Ding!« sagte einer der Landser begeistert. »Da bring ick meener Erna 'ne Handvoll mit. Allet Bernstein, meine Fresse!«
Er zückte sein Seitengewehr, stieß die Spitze in das Mosaik, bohrte und brach ein großes Stück aus der Wand.
Mit drei langen Sätzen stürzte sich Wachter auf den Soldaten, gerade, als dieser grinsend sagte: »Erna war schon imma scharf auf Bernstein. Kameraden, det is hier ja wie'n Goldbergwerk.«
»Zurück!« brüllte Wachter. Er entriß dem Landser das Seitengewehr, schleuderte es weg, packte ihn an den Schultern und stieß ihn von der Bernsteintafel weg.
»Na, na, wat is denn?« sagte der Landser verblüfft. Dann erst begriff er, daß man ihn angegriffen hatte, daß sein Seitengewehr mitten im Saal im Sand lag und daß es auch noch ein Zivilist war, der ihm einen Stoß versetzt hatte, ein älterer Mann in einem abgeschabten Anzug. »Hast wohl 'ne Meise, Opa?!« schrie er und ballte die Fäuste wie ein Boxer. »Nu halt man dein Kinn fest …«
Aber er kam nicht dazu, seinen Schlag anzubringen. Der zweite Landser,
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