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Das Bernsteinzimmer

Das Bernsteinzimmer

Titel: Das Bernsteinzimmer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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man das Scheißverdeck dicht kriegt?« rief er empört. »Ich bin bis auf die Haut naß.«
    »Hier hinten ist es erträglich.« Dr. Runnefeldt dehnte sich behaglich. »Es war Ihr Wunsch, vorn zu sitzen.«
    Dr. Wollters biß die Zähne zusammen. Und wenn ich hier vorn schwimme … du bringst mich nicht dazu, meine Meinung zu ändern, dachte er verbissen. Das Mitschleppen dieses Halbrussen ist und bleibt eine Frechheit.
    Zur Mittagszeit machten sie Rast an einem Bauernhof. Die Bäuerin, zwei Kinder – eine Tochter und ein Junge von 14 Jahren – und der Großvater waren beim Einmarsch der Deutschen nicht geflohen, sie hatten die graue Lawine über sich hinwegrollen lassen, hatten miterlebt, wie die deutsche Artillerie und die gefürchteten heulenden Stukas, die aus dem Himmel herausfielen, die Stalin-Linie, die vermeintlich uneinnehmbare Verteidigungslinie der Roten Armee, zerbombten und zerschlugen, und hatten damals beschlossen, lieber in den Trümmern ihres Hauses zu sterben, als davonzulaufen. Nicht weit von ihnen lag die Stadt Pskow, das jetzt Pleskau hieß, und hier hatte vor zweihundert Jahren der Leibeigene des Fürsten Michajlow, der Bauer Jermil Konstantinowitsch Gnmaljuk einen Hof zur Betreuung übernommen. Nach Ende der Leibeigenschaft durften die Grimaljuks Haus und Land behalten, lebten bescheiden, aber zufrieden, fuhren oft zum Fischen an den nahen Peipus-See und lobten Gott ob seiner Güte. Jetzt war der Bauer, der Genosse Ilja Wladimirowitsch, als Scharfschütze irgendwo an der Front. Es gab keine Nachricht, keinen Brief, keine Karte – wie auch, seine Heimat war jetzt besetztes Gebiet geworden –, und niemand wußte, ob er noch lebte.
    Praskowja Nikolajewna, die Bäuerin, die Kinder und vor allem Trofim, das noch recht muntere Großväterchen, hatten sich, so gut es eben ging, mit ihrem Schicksal abgefunden. Sie hatten das Korn gemäht, die Sommerkartoffeln aus dem Feld gezogen und die Gemüsebeete geharkt, um dann alles, was man nicht selbst zur Ernährung brauchte, den deutschen Besatzern zu verkaufen. Dabei hatte man sie zweimal elend betrogen … ein Schwein und ein Kälbchen hatten die Deutschen gekauft und mit deutschen Geldscheinen bezahlt.
    »Das Geld«, hatten die Landser gesagt. »Germanskij Rubel, du verstehen? Einlösen in Kommandantur. Tauschen, kapiert? Menjat' … Guck nicht so blöd, alter Sack!«
    Großvater Trofim nahm die Geldscheine, fuhr drei Tage später zum Ortskommandanten von Nostrow und legte Germanskij Rubel vor. Ausgelacht hatte man ihn und dann hinausgeworfen. Was er auf den Tisch legte, waren alte deutsche Lotterielose. Winterhilfswerk 1940.
    Praskowja Nikolajewna stand in ihrer ausgebleichten Kittelschürze vor dem Haus, gegen den Regen einen Sack über den Kopf gestülpt, als Dr. Runnefeldts Auto auf dem Hof hielt. Die Kinder drückten die Nasen am Fenster platt, und Großvater Trofim bereitete sich darauf vor, gegen deutsche Lotterielose zu opponieren.
    Dr. Wollters blickte mißmutig durch die Scheibe auf die Bäuerin und das alte Haus. Der Regen rauschte, als gieße man Eimer aus. Der Scheibenwischer kämpfte vergeblich gegen die vom Wind herangetriebene Flut an.
    »Hier?« fragte er und drehte sich wieder um.
    »Ja«, antwortete Dr. Runnefeldt.
    »In dieser Bruchbude? Diesem Wanzennest? Sehen Sie sich mal das Weibsstück an … nur mit der Kneifzange anzufassen …«
    »Wir wollen sie nicht anfassen, mein lieber Wollters, sondern eine Pause machen, etwas essen und trinken.«
    »Da rühre ich nichts an! Soll ich vor Ekel die Gelbsucht bekommen?«
    »Meistens haben die Bauern hier einen guten, frischen Quark«, sagte Wachter und erntete dafür einen bösen, durchbohrenden Blick. »Milch, eingelegte Gurken, feste Zwiebeln, selbstgebackenes Brot und vielleicht auch Grützwürstchen.«
    »Scheußlich! Können wir nicht weiterfahren bis zu einer Truppe? Irgendwo hier müssen doch deutsche Einheiten liegen! Lieber eine miese Feldküche als dieser Schweinefraß.«
    »Wir müssen hier auf die Kolonne warten.« Dr. Runnefeldt setzte seine Mütze auf, schätzte den Weg vom Auto bis zur Haustür auf etwa drei Meter – man würde also naß werden und durch einen aufgeweichten Boden springen müssen. »Wir sind noch gut durchgekommen, aber wie haben es die Lkws in diesem Sauwetter geschafft? Das beschäftigt mich mehr als Essen. Ich habe erst Ruhe, wenn die Wagen hier aufgefahren sind.« Er stieß die Tür auf, sprang aus dem Auto und hetzte mit großen Sprüngen durch den

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