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Das Bernsteinzimmer

Das Bernsteinzimmer

Titel: Das Bernsteinzimmer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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machen.«
    »Was willst du tauschen, Väterchen?«
    »Einmal anziehen, Freundchen.« Großväterchen zuckte listig mit den Augen. »Vom Gospodin Offizier die Hosenträger …«
    Ratlos warf Wachter einen schnellen Blick auf Dr. Wollters. Der Rittmeister saß, umgeben von molliger Wärme, am Ofen und wartete auf den Fraß, den man ihnen vorsetzen würde.
    »Alter, du bist verrückt!« sagte Wachter. »Ich kann doch den Herrn Rittmeister nicht bitten, dir seine Hosenträger zu leihen. Auch nicht für ein Viertelstündchen. Unmöglich.«
    »Frag ihn, Brüderchen. Kein Fleckchen wird drankommen, kein Stäubchen.«
    Wachter wischte sich mit beiden Händen über das Gesicht und wandte sich herum zu Dr. Runnefeldt. Er stand in der ›schönen Ecke‹ des Zimmers und betrachtete eine uralte Bauern-Ikone. Grob gemalt mit Eierfarben, schmale hohe Gestalten mit langgezogenen Gesichtern und großen runden Augen. Um etwa 1600 herum, dachte er. Das hat noch keiner erkannt, der hier im Zimmer gewesen ist. Ein kleines Juwel von Ikone. Man sollte es mitnehmen, so etwas gibt es kaum noch. Aber dann sah er Praskowjas Blicke und die Angst in ihnen. Diese Ikone war das einzige, was ihr von ihrem Glauben geblieben war. Das geschnitzte Kruzifix hatten Rotarmisten, die zur Stalin-Linie marschiert waren und bei ihnen rasteten, von der Wand gerissen und an der Hausmauer zersplittert. Und auch das Kerzchen, das ewige Licht, hatten sie ausgeblasen. »Da hängt ihr jetzt Stalin hin!« hatte ein Sergeant gebrüllt. »Ihr christlichen Heuchler.« Aber die Ikone ließen sie unberührt, sie zeigte Peter und Paul, und die Jünger waren kostbar gekleidet wie Bojaren.
    Sie bleibt hier, dachte Dr. Runnefeldt und wandte sich von der Ikone ab. Wir haben über 500 Ikonen bei uns. Nehmen wir an, diese hier habe ich nie gesehen.
    »Herr Doktor«, sagte Wachter leise, damit es Wollters nicht hörte. »Der Alte verspricht uns ein gutes Essen, wenn er die Hosenträger von Dr. Wollters einmal anziehen darf. Nur ein paar Minuten …«
    »Das ist doch ein Witz!« sagte Dr. Runnefeldt entgeistert.
    »Nein, Herr Doktor. Können Sie Dr. Wollters nicht fragen?«
    »Das ist doch lächerlich!«
    »Ein kleiner Tausch: Gutes Essen gegen …« Er schluckte. »Sonst gibt's für uns nur Essiggurken. Wir werden nie finden, wo sie ihre Vorräte versteckt haben.«
    »So was Verrücktes gibt's nur einmal!« Dr. Runnefeldt ging hinüber zu Dr. Wollters und musterte die scheußlichen Hosenträger. Wollters fühlte sich wohl … er trocknete.
    »Probleme?« fragte er. »Sag ich doch, das ist der reinste Schweinestall. Hier rühre ich nichts an!«
    »Verleihen Sie für ein paar Minuten Ihre Hosenträger?«
    »Wie bitte?« Wollters sah Dr. Runnefeldt fast entsetzt an. »Haben Sie öfters solche Anfälle?«
    »Der Großvater möchte sie einmal tragen … dafür gibt es gutes Essen.«
    »Das ist ja …« Wollters holte tief Luft. »Das ist unerhört!« Sein empörter Blick traf Großväterchen. Trofim grinste ihn freundlich und erwartungsvoll an. »Und so einen Blödsinn sprechen Sie auch noch aus, Herr Runnefeldt!«
    »Ich finde, das ist ein guter Tausch.«
    »Kein Fleckchen, kein Stäubchen wird drankommen –« warf Wachter ein. »Wenn es den alten Mann glücklich macht …«
    »Sind wir im Krieg, oder ziehen wir herum, um jeden glücklich zu machen?« bellte Wollters.
    »Das letztere.« Dr. Runnefeldt setzte zum vernichtenden Schlag an. »Nach Ansicht des Führers befreien wir hier den slawischen Menschen vom Bolschewismus. Also eine Art von Beglückung. Hier ist unsere Zukunft, das weite Land des Ostens. Die Ausdehnung des Großdeutschen Reiches.«
    Wortlos erhob sich Dr. Wollters von der warmen Ofenbank, schnallte seine Hosenträger ab und warf sie Trofim zu. Großväterchen fing sie geschickt auf, wirbelte dann auf dem Absatz herum und verschwand so flott wie ein junger Bursch im Nebenzimmer.
    Aber schon nach wenigen Minuten war er wieder da. Über seiner blauen Bauernbluse zogen sich die bunten Träger und hielten seine alte, fleckige, dunkelgraue Hose fest. Mit verklärtem Gesicht und stolzen Schritten ging er im Zimmer herum, stellte sich vor seine Schwiegertochter Praskowja, ließ zwischen den Daumen die Hosenträger schnalzen, wanderte mit hocherhobenem Haupt an allen Wänden der Stube entlang, und als sogar die Kinder sich blicken ließen und Großväterchen bestaunten, marschierte er mit durchgedrückten Knien paradierend einmal vom Ofen zur Tür und von der Tür zum

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