Das Bernsteinzimmer
Ofen. So glücklich und ergriffen war der Alte, daß er bei dieser Parade nichts mehr von seinem Rheuma spürte.
Mit gleicher Würde verließ er darauf das Zimmer, verschwand hinter der Tür zu seinem Schlafraum, öffnete einen breiten Schrank und schlüpfte durch ihn und eine Holztür in den angrenzenden Stall. Fröhlich gackerten seine sieben Hühnchen bei seinem Anblick und reckten die Hälse vor. Gab es jetzt schon Körnerchen?
»So ist nun mal das Leben, ihr Lieben!« sagte Trofim feierlich. »Versprochen hab ich's, und ein Grimaljuk hält sein Versprechen.« Er musterte die Hühnerchen, entschied sich für ein fettes, rundes Exemplar und hob die Schultern. »Lydia, eine muß es sein. Warst ein braves Tierchen.«
Ein Beil nahm er von der Wand, packte Lydia ruckzuck bei den Flügeln, trug das schreiende Tier zu einem Holzblock und hieb ihm den Kopf ab. Weit von sich weghaltend, damit kein Spritzerchen an die Hosenträger kam, ließ er es ausbluten und kehrte dann durch den Schrank zurück.
Dr. Wollters saß auf der Ofenbank und blickte auf seine Armbanduhr. »Die Zeit ist um!« sagte er scharf. »Es ist unerhört, was man hier mit mir macht. Warum haben Sie Ihre Hosenträger nicht abgeschnallt, Herr Runnefeldt?!«
»Erstens habe ich keine so bunten wie Sie, und zweitens trage ich nur Gürtel. Ah, da kommt ja Großvater wieder.«
Trofim erschien in der Stube, in der Rechten die Hosenträger, in der Linken das geschlachtete Huhn. Praskowja stieß einen langen Seufzer aus. Ausgerechnet Lydia, die beste Eierlegerin! Großväterchens Verstand war auch nicht mehr wie früher.
Dr. Wollters nahm seine Hosenträger entgegen und legte sie sofort wieder an.
»Der Kerl hat doch tatsächlich ein Huhn geköpft!« sagte er.
»Der Tausch.« Dr. Runnefeldt nickte dem Alten ermunternd zu. »Wenn das kein Geschäft war, Herr Wollters. Wir bedanken uns alle bei Ihnen für das kommende fulminante Essen …«
Eine große Betriebsamkeit entstand in dem Bauernhaus. Praskowja nahm das Huhn aus, die Kinder rupften es, Trofim bot Tabak an, den grob geschnittenen Machorka, den nur eine Kehle aus Blech vertragen konnte, und zauberte unter einer losen Dielenplanke eine Flasche mit Stachelbeerwein hervor.
»Sagen Sie der Bäuerin –« wandte sich Dr. Runnefeldt an Wachter – »daß das Huhn für 40 Personen reichen muß. Wir drei, der Fahrer und 36 Mann von der Kolonne. Wird zwar sehr dünn werden, die Suppe, aber bei dem Sauwetter tut sie allen gut.«
Praskowja stellte also einen riesigen Kessel auf den eisernen Herd, füllte ihn voll Wasser und ließ es kochen. Daß es ein Kessel war, in dem man sonst das Schweinefutter zubereitete, wußte keiner. Nur Wachter, und der hielt den Mund.
Aber die Suppe wurde nicht dünn, im Gegenteil, Praskowja schüttete, nachdem sie das Huhn in kleine Stücke zerteilt hatte, ein paar Hände voll Grütze in das brodelnde Wasser, dazu noch vier große Zwiebeln, und so wurde es mehr ein Brei als ein Süppchen. Trofim schnupperte in die Luft wie ein Ferkelchen, sagte mit glänzenden Augen: »Riecht wie bei meinem Mütterchen!«, und wenn das ein über siebzig Jahre alter Mann sagt, mußte das stimmen und war ein großes Lob.
Vier Stunden später tauchte aus dem rauschenden Regen die Lkw-Kolonne auf. Bis zu den Planen mit Dreck bespritzt, pflügten sie tiefe Furchen in die Straße und schwankten durch den Schlamm wie klobige betrunkene Riesen. Am schwersten traf es Julius Paschke als letzten der Kolonne … er mußte alle tiefen Spuren der vor ihm den Straßengrund zermahlenden Wagen überwinden.
»Dat is zum Mäusemelken!« hatte Doll ein paarmal geschrien. »Dat haste nu davon, mit dingem Fimmel von der Nachhut! Die da vürn rießen de Stroß op, und ich krieje die janze Scheiße ins Geseech! Nach dem Essen maache mir widder de Spitz …«
»Wir bleiben hinten«, sagte Paschke. Er bedauerte Jana, die hin und her geschleudert wurde. Die zarten Knöchelchen, dachte er. Und noch nich mal massieren kann ick se. »Ick weeß det besser als du …«
»Scheiße!«
Nun fuhren die 18 Lkws vor dem Bauernhaus auf, wieder schön ausgerichtet in langer Reihe. Von Wagen eins war die Meldung gekommen: »Das Auto vom Chef parkt vor einer Kate!«, und Paschke hatte den Befehl gegeben, auch dort zu halten. Mittagspause.
Etwas steif kletterten die Fahrer aus ihren Wagen und rannten hinüber zum Haus. Eine graugrüne, nasse Woge ergoß sich in das Zimmer, im Nu stank das ganze Haus nach durchweichten Kleidern und
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